China Market Insider Pure Vision vs. Multi Sensor: Was ist der Weg zum sicheren autonomen Fahren?

Von Henrik Bork |

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Derzeit wird in China die richtige technologische Route für das autonome Fahren diskutiert. Dem auch von Tesla genutzten „Pure Vision“-Ansatz mit hochauflösenden Kameras steht dabei die Kombination verschiedener Sensorik, etwa Kamera plus Lidar gegenüber. Vor- und Nachteile haben beide Systeme.

Das autonome Fahren ist keine Zukunftsmusik mehr. Allerdings ist noch nicht ausgemacht, wie die Systeme abgesichert werden: Nur Kameras oder eine Sensor-Mix?
Das autonome Fahren ist keine Zukunftsmusik mehr. Allerdings ist noch nicht ausgemacht, wie die Systeme abgesichert werden: Nur Kameras oder eine Sensor-Mix?
(Bild: Mercedes-Benz AG)

Baidu Apollo, das Projekt für autonomes Fahren des chinesischen Suchmaschinen-Konzerns Baidu, hat gerade die Entwicklung einer hochauflösenden Kamera mit mehr als 15 Millionen Pixeln angekündigt. Gemeinsam mit Sony Semiconductor Solutions, LCE und Sesame Technologies habe Baidu das Design der neuen „Superkamera“ abgeschlossen, die schon bald eingesetzt werden könne, berichtet das Fachportal Pin Wan.

Die visuellen Fähigkeiten dieses neuen „Auges“ für das autonome oder assistierte Fahren seien mit denen von drei Kameras vergleichbar, die bisher im Einsatz sind, was besonders bei schlechten Lichtverhältnissen wichtig sei, schreibt Pin Wan weiter.

Weil aber selbst die beste Kamera nichts nützt, wenn ihre Datenfülle nicht gut verarbeitet werden kann, haben Baidu und seine Partner für die neue Autokamera auch gleich einen neuen integrierten Bildsignalprozessor (ISP) entwickelt.

Multi-Sensor scheint in China noch die erste Wahl

„Autobauer können die Gesamtkosten reduzieren, indem sie die Anzahl von Kameras verringern und das Layout der Kameramodule optimieren,“ schreibt das Fachportal. Der Kampf zwischen den zwei technologischen Routen „pure vision” und „multi-sensor” habe „ein neues Ausmaß erreicht“, kommentiert das chinesische Fachportal Auto Byte.

Chinas Unternehmen, die stark in Lösungen für das autonome Fahren investieren, darunter Baidu, Pony.ai , Didi und Huawei, setzen momentan oberflächlich betrachtet auf die “Multi-Sensor”-Lösung. Mehrere Kameras und Lidar-Sensoren werden parallel verbaut, unter anderem um die Sicherheit der Objekterkennung im Straßenverkehr zu erhöhen.

Die Anstrengungen von Baidu zur Entwicklung stärkerer Kameras und dazugehöriger Prozessor-Hardware sind aber ein Beispiel dafür, dass man sich auch in China eine Zukunft nur mit Kameras und starken Algorithmen offen hält, glauben Marktbeobachter in Peking und Shanghai.

Toyota und Tesla als Vorreiter für Pure-Vision

Mit grosser Aufmerksamkeit ist in China im April die Ankündigung von Toyota aufgenommen worden, über seine Tochter Woven Planet künftig eine “Nur-Kamera”-Lösung für autonome Fahrfunktionen zu erforschen. Toyota folgt damit dem E-Auto-Pionier Tesla, dessen Gründer Elon Musk seit letztem Jahr vermehrt auf “Pure Vision” setzt und für einen Teil seiner Modelle in den USA bereits die Radargeräte abgeschafft hat.

„Im Vergleich zur Lösung mit einer Fusion aus verschiedenen Sensoren, wo 2 bis 4 Lidar in einem einzigen Fahrzeug benötigt werden, ist der Kostenvorteil von Pure Vision nur mit Kameras sehr klar,“ schreibt Auto Byte.

Tesla hat seine Wahl getroffen. Lidar-Technik ist nicht dabei. Die chinesischen Hersteller setzten hier mehr auf den Mix.
Tesla hat seine Wahl getroffen. Lidar-Technik ist nicht dabei. Die chinesischen Hersteller setzten hier mehr auf den Mix.
(Bild: Henrik Bork)

Das ist in China ein schlagendes Argument, denn der Wettbewerb um niedrige Preise jeder Technologie in der Automobilbranche ist brutal. Doch Teslas und Toyotas Ansatz ist in China bislang nur schwer nachzuahmen. Die Sicherheit von Navigations-Systemen, die allein auf Daten aus Kameras beruhen, hängt von der Zahl der bereits verkauften Autos und der Fülle der von ihnen im Straßenverkehr gesammelten Daten abhängig. Da haben Tesla und Toyota immer noch die Nase vorn.

Zwang zu schneller Marktreife spricht für Lidar

„Time to market“, also die schnelle Verfügbarkeit von technischen Lösungen, verbietet den meisten chinesischen Unternehmen, erst auf das Sammeln ausreichender Daten zu warten. Lösungen mit Lidar werden allein deshalb noch auf absehbare Zeit den chinesischen Markt dominieren, denken die meisten Analysten in Peking und Shanghai.

„Momentan entscheiden sich die meisten Autobauer für die Lösung mit Lidar, denn es wird länger dauern, bis Lösungen mit Pure Vision serienreif sind. Der Wettbewerb dreht sich jetzt vor allem um die schnelle Kommerzialisierung. Das Tempo ist der entscheidende Faktor,“ wird ein chinesischer Entwicklungs-Ingenieur von Auto Byte zitiert.

Selbst Befürworter der Lidar-Technologie, die in China trotz ihrer Verachtung durch Elon Musk klar auf dem Vormarsch sind, sehen ihre Nachteile. „Multi-Sensor-Fusion ist ein komplexes und störanfälliges Verfahren,“ sagt ein chinesischer Ingenieur.

Lidar als Backup

Um die verschiedenen Daten aus einer Mischung von Kameras, Radargerät und Lidar optimal nutzen zu können, ist entweder eine zentrale Recheneinheit mit großer Leistung nötig. Oder man entscheidet sich, wie etwa Jidu, das Gemeinschaftsunternehmen von Baidu und Geely, die Kameras und Lidar-Sensoren parallel einzusetzen, die Lidar also gewissermaßen nur als „Backup“ zu nutzen.

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Es wird Redundanz erzeugt, um die Sicherheit zu erhöhen. Doch in Wirklichkeit handelt es eher um einen „Pure-Vision-Ansatz“. Mit anderen Worten, man vertraut vor allem den immer besser werdenden Kameras und den Algorithmen, die nach und nach den Entscheidungen des menschlichen Gehirns immer näher kommen, während man zur Sicherheit gleichzeitig ein oder zwei Lidar-Sensoren verbaut.

Auch Zhiji, das Joint-Venture von Alibaba und SAIC), scheint seit kurzem mit Hilfe der Technologie von Momenta auf Pure Vision zu setzen. Zumindest hat Zhiji im vergangenen Jahr sein Testauto „L7“ in Shanghai ohne Lidar auf die Straße geschickt.

Koexistenz als Übergang

Auch Toyota nutzt weiterhin Lidar-Sensoren, um die nötige Redundanz in schwierigen Licht- oder Strassen-Szenarien sicherzustellen. Und in China ist die Koexistenz beider Technologien momentan eindeutig die am weitesten verbreitete Lösung. „In der technischen Umgebung, mit der wir es momentan zu tun haben, sind Pure Vision und Lösungen mit einer Fusion aus mehreren Sensoren nicht unbedingt ein Gegensatz,“ resümiert Auto Byte.

Über den Autor

Henrik Bork ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.

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