Welt in 3D: Auf dem Weg zum autonomen Fahren
Neue Sensoren, mehr Rechenleistung und künstliche Intelligenz ermöglichen die digitale Vermessung der Welt und schaffen bereits heute die Grundlagen für eine selbstfahrende Zukunft.
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Gute Ortskenntnisse sind viel wert. Das zeigt sich nicht nur, wenn man auf die Schnelle einen Espresso braucht, einen guten Änderungsschneider in einer fremden Stadt oder die perfekte, einsame Badebucht. Das gilt erst recht auf der Straße. Ein Fahrer, der eine Strecke schon in- und auswendig kennt, wird sie viel selbstverständlicher zurücklegen. Er kennt die von Weitem schwer einsehbaren Kurven. Er weiß, an welchem Hang häufig Lkws auf der rechten Spur stehen. Er weiß, wo plötzlich eine Behelfsausfahrt auftaucht. Vielleicht fährt er auch daran vorbei, weil er sich wieder daran erinnert, dass der Espresso an der nächsten Ausfahrt die bessere Crema hat. Selbst der beste Fahrer kommt ohne einen persönlichen Erfahrungsschatz weniger entspannt am Ziel an. Der Kontext, das Wissen über die Umgebung, bereichert die unmittelbare Wahrnehmung. Und sorgt dabei für ein besseres Gefühl – und mehr Sicherheit.
Billionen Pixel
„Das Sehen hat seine Grenzen, auch wenn es unser wichtigster Sinn ist“, sagt Sanjay Sood. „Das darf aber für autonome Fahrzeuge nicht gelten. Sie werden durch Gebäude hindurch, um Ecken herum und 20 Meilen voraussehen müssen, um sicher manövrieren zu können.“ Sanjay Sood leitet die Abteilung für hochautomatisiertes Fahren bei der Firma Here. Das Unternehmen stellt digitale Straßenkarten her, die um ein Vielfaches genauer sind als die heute noch für die Navigation üblichen. Sood spricht damit einen Punkt an, der in der Diskussion um autonome – oder, besser, hochautomatisierte –Fahrzeuge oft zu kurz kommt. Meistens ist die Rede von der Intelligenz zukünftiger Fahrzeuge und den aufregenden Neuerungen in der Sensorik. Doch was für einen guten Fahrer gilt, gilt auch für die Fahrzeuge selbst. „Damit die Vision von selbstfahrenden Automobilen Realität werden kann, müssen diese die Straße kennen, und zwar auch jenseits der Reichweite ihrer Sensoren“, sagt Sanjay Sood.
Die neuen HD-Karten zeigen zu diesem Zweck eine Fülle von Informationen, nicht nur Straßen und Routen. In ihren vielen Billionen Pixeln ist die Umgebung sozusagen vollständig enthalten: von Bäumen am Wegesrand bis hin zu Details im Zentimeterbereich wie dem exakten Verlauf der Fahrspuren und sogar der Höhe der Bordsteine. All das wird dreidimensional erfasst und dargestellt. Das Rohmaterial für die Karte liefert keine Kamera, sondern ein Lidar (Light Detection and Ranging). Ein hochempfindlicher Laserscanner, montiert auf das Dach eines Messfahrzeugs, sendet in hoher Frequenz Lichtpulse aus. Diese werden von Objekten reflektiert und kehren zum Sensor zurück – an der Zeit bis zu ihrem Eintreffen erkennt der Sensor die Entfernung jedes einzelnen Punktes. In ihrem Rohzustand aus Pixeln sehen die 3-D-Landschaften aus wie ein futuristisches Computerspiel.
Der Algorithmus wird trainiert
Die NASA benutzte einst einen Lidar, um den Mond exakt zu vermessen. Archäologen benutzen den Sensor für die genaue Vermessung von Ausgrabungsstätten. Dass man damit auch Kunst machen kann, zeigte die britische Rockband Radiohead mit ihrem Grammy-nominierten Video „House of Cards“ .
Für Automobile und ihre Fahrer bedeuten die HD-Karten aber in erster Linie viel mehr Sicherheit: Jede Information ist doppelt vorhanden. Denn die Sensoren der Fahrzeuge können nicht in jedem Fall alle Informationen über die Umgebung liefern: Es kann immer passieren, dass eine Fahrbahnmarkierung schwer zu sehen ist, dass ein Verkehrsschild verdeckt oder sogar umgeknickt ist. In solchen Fällen hilft die Karte. Sie sorgt aber auch für Redundanz: Fahrzeuge, die sich selbst steuern, müssen nicht „ins Blaue hinein“ fahren. Sie wissen jederzeit, was vor ihnen liegt, und können die live erfassten Informationen mit denen der Karte abgleichen.
„Wir sehen die Karte wie einen zusätzlichen Sensor“, sagt Klaus Büttner, der bei BMW die Abteilung für hochautomatisiertes Fahren leitet. Die Karte bietet den Vorteil, jenseits der Sensorreichweite wichtige Informationen bereitzustellen, und ermöglicht damit ein vorausschauendes Fahren. Büttner ist bei BMW damit beschäftigt, die Fahrzeuge so intelligent zu machen, dass sie sich im automatisierten Modus in jeder auch noch so seltenen Verkehrssituation richtig verhalten. Das hat mit herkömmlicher Programmierung nichts mehr zu tun. Es ist eher „Training“. Die Experten bei BMW sagen dazu tatsächlich: Der Algorithmus wird trainiert.
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