Fahrerassistenzsystem Insassenüberwachung: Wieso manche Autofahrer in China verzweifeln
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Assistenzsysteme sollen Fahrer unterstützen oder Sie vor gefährlichen Situationen bewahren. Nicht ausgereifte Systeme erreichen aber schnell das Gegenteil und nerven. Zum Beispiel das „Driver Monitoring System“.

Wie klug so ein Smart Cockpit wirklich ist, das ist sehr relativ. „Ich wiederhole, meine Augen sind klein, aber ich schlafe nicht am Steuer ein“, schrieb der chinesische Fahrer eines E-Autos von Xpeng Motors vor ein paar Tagen auf seinem Weibo-Blog. Da war der Mann schon völlig entnervt.
Was war passiert? Das DMS, also das „Driver Monitoring System“, überwacht in neuen Automodellen mittels Sensoren die Augenlider. Sind die Augen des Fahrers zu lange oder zu oft geschlossen, gilt er als abgelenkt oder müde und muss der gängigen Logik nach vor sich selbst geschützt werden.
Bei „DerekTLM“, so der Künstlername des chinesischen Bloggers, piepste die „Fahrer müde! Fahrer müde“-Warnung aber pausenlos, weil das DMS seine relativ kleinen Augen als halb geschlossen interpretierte.
„Haben wir Menschen mit kleinen Augen keine Navigation mit Autopilot verdient?“ fragte der verärgerte Blogger. Und weil er auf Weibo 300.000 Fans hat, bekam er schon zwei Stunden später eine Antwort von dem CEO und Gründer von Xpeng, He Xiaopeng, persönlich.
Persönliche Antwort vom Xpeng-CEO
Der CEO tippte postwendend eine freundliche Antwort und bat seine Kollegen in der Abteilung für Smart Cockpits, der Sache nachzugehen. Kurz darauf meldete sich dann das Team für autonomes Fahren von Xpeng zu Wort und bestätigte, einen Arbeitsauftrag zur Verbesserung des Systems erhalten zu haben.
Diese schnelle Reaktion hat vielen Chinesen gefallen und die Episode hat eine Menge positive PR in Chinas Medien für Xpeng produziert. In den Berichten wird auch deutlich, dass viele andere Automarken ähnliche Probleme haben.
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Nicht nur ein „ET7“ von Xpeng, auch andere Autos hätten ihn bereits wegen seiner kleinen Augen malträtiert, berichtete ein Autoblogger namens Chang Yan. Als er einen „Voyah Free“ fuhr, schaltete das Auto mitten im Winter die Klimaanlage ein und blies ihm kalte Luft ins Gesicht, um ihn aufzuwecken. „Es dachte ständig, ich sei müde oder zerstreut“, so Chang. Inzwischen hat er gelernt, wie sich die Warnsignale ausschalten lassen.
Die Insassenüberwachung mit verschiedener Technik wird in China gerade zum Standard. Auch in Brüssel setzt sich Euro NCAP, das europäische Programm zur Sicherheitsbewertung von Neuwagen, für das herstellerweite Verbauen von DMS ab 2025 ein.
Fahrer fühlen sich als Tester
Das ist alles gut gemeint, aber nicht unbedingt gut – denn viele Fahrer in China haben das Gefühl, zum jetzigen Zeitpunkt als Versuchskaninchen missbraucht zu werden. „Alles in allem befindet sich die Technik im Smart Cockpit noch im Entwicklungsstadium“, schreibt das Autoportal der Plattform Jiqi Zhixin. Es gebe da noch „eine Menge Luft für Verbesserungen“.
Nicht jede neue technologische Neuerung ist ein echter Durchbruch. In den Autos von Tesla etwa wird die Müdigkeit des Fahrers noch immer über Sensoren im Lenkrad „ertastet“. Das scheint einigermaßen zu funktionieren. Doch im Moment schwenken die meisten Hersteller in China schon auf DMS mit Kameras und Augenlid-Überwachung um.
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Manche Fahrer klagen über Spracherkennungs-Assistenten, die ihre Sprache nicht verstehen. Andere beschweren sich, dass sie fälschlicherweise als müde eingestuft werden. Und die, die dicke Brillen oder Sonnenbrillen tragen, haben auch so ihre Probleme.
Hirnströme messen, um Müdigkeit zu erkennen
Doch in China ist der Glaube an neue Technologien ungebrochen und der Wettbewerb zwischen den Herstellern um immer neue Systeme im Cockpit gleichzeitig sehr stark. Eine Reihe von Teams arbeitet daher momentan an neuen Lösungen.
Einige chinesische Forscher bemühten sich gerade EEG, also die Messung von Hirnströmen, ins DMS zu integrieren, zitiert das Autoportal den Experten Li Guofa vom „Human Factors Engineering Laboratory“ der Universität Shenzhen.
Zum Glück wird es aber wohl noch einige Jahre dauern, wenn dieser Kommentar hier erlaubt ist, bis die Technik mit dem Elektro-Enzephalogramm ausgereift ist und wir alle eine Elektrode hinterm Ohr tragen müssen, bevor wir hinter das Steuer dürfen.
Müde Fahrer mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit erkennen
Auch EOG, das „Electroculogram“, gilt gerade als besonders vielversprechende technologische Route. Dabei werden die REM-Phasen, also die Phasen mit schnellen Augenbewegungen, genutzt. Angeblich könne bereits mit 80-prozentiger Trefferquote ein müder Fahrer erkannt werden, heißt es in der chinesischen Fachpresse.
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Wieder andere Entwickler in der Volksrepublik setzen auf EKG, also das gute alte Elektrokardiogramm zur Überwachung der Herzfrequenz. Es kann recht verlässlich erkennen, ob der Fahrer oder die Fahrerin gerade besonders ärgerlich, aufgeregt ist oder auch nicht. Ähnliche Ergebnisse liefert das Messen der Körpertemperatur und auch damit wird experimentiert.
Das Startup „SynSense“, 2017 im Umfeld der Uni Zürich von Neuroinformatikern gegründet und 2020 nach China umgezogen, hat im April dieses Jahres eine Kooperation mit BMW begonnen. Das Ziel: den Einsatz von neuromorphischen Chips im Smart Cockpit testen.
„Ein völlig neues Fahrerlebnis“
Das Startup kombiniert die Echtzeit-Signalverarbeitung mit Hilfe von besonders für diesen Zweck entwickelten Halbleitern und KI-Algorithmen. Man freue sich auf ein „völlig neues Fahrerlebnis“ mit Hilfe neuromorphischer Intelligenz, wird ein BMW-Manager in China auf der Webseite von „SynSync“ zitiert.
Es besteht also immerhin die Hoffnung, dass das „Smart Cockpit“ irgendwann wirklich smart wird. Vielleicht sogar, bevor das autonome Fahren den Fahrer ganz abgeschafft hat, egal wie groß dessen Augen sind. Und das wäre doch wirklich schön, oder? (thg)
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