Gleich- oder Wechselstrom – droht ein neuer Stromkrieg?
Die Zukunft der Stromversorgung wird DC sein: Eine provokante und jetzt noch visionäre Aussage. Doch die ersten Schritte in diese Richtung sind bereits vor einigen Jahren gemacht worden und die Vorteile beflügeln langsam die bislang eher zurückhaltenden Marktteilnehmer.
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Das elektrische Energieversorgungssystem ist historisch bedingt gegliedert in zentrale Energieversorger und dezentrale Verbraucher. Hierarchisch wird Strom von einem hohen Spannungsniveau über Hochspannungstrassen deutschland- und europaweit zur Verfügung gestellt, um dann über eine Mittelspannungsschiene verteilt zu werden, bis schließlich die üblichen Spannungsniveaus 230 VAC/400 VAC bei den Verbrauchern ankommen.
Regenerative Energieerzeuger wie Wasser, Wind, Solarenergie und Biomasse verändern diese klassische Netzstruktur. Mehr und mehr dezentrale Einspeisepunkte belasten das Verteilungsnetz ungleich höher als bisher (2016 lag der Anteil regenerativer Energien am Strommix bei 31,7%).
Um in einem solch heterogenen Umfeld weiterhin die hohe Verfügbarkeit zu gewährleisten und für zukünftige Anforderungen (z.B. Elektromobilität) gewappnet zu sein, sind neue, intelligente Lösungen notwendig.
Wie in der Industrie der Begriff „Industrie 4.0“ einen Wandel hin zu einer durchgehenden Digitalisierung des Fertigungsprozesses beschreibt, steht der Begriff „Smart Grid“ für eine intelligente, vernetzte Zusammenarbeit möglichst vieler Energieerzeuger, Verbraucher und Speicher.
Um auf Dauer nicht abhängig zu sein von Kohle und Öl zur Bereitstellung der sogenannten Grundlastversorgung, benötigt ein solches intelligentes Netz neue Ansätze in Bezug auf die Sicherstellung der Netzqualität. Denn die klassischen Quellen für regenerative Energie sind Windkraft und Solarenergie – beide Techniken sind nicht grundlastfähig. Vor allem die wetterbedingt kaum vorhersehbaren Änderungen des Beitrags zur Stromerzeugung müssen deshalb auf andere Weise abgefangen werden.
In den verschiedensten Gremien u.a. des VDE, ZVEI, VDMA, NPE, IEC und auf länder- und staatspolitischer Ebene wird an Lösungen für dieses grundlegende Problem gearbeitet.
Und es gibt mittlerweile erste Teillösungen, die sogar verschiedene Industriezweige zusammen führen können:
Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien als Energiespeicher
Lithium-Ionen-Akkus gibt es mittlerweile über drei Jahrzehnte am Markt. Die Herstellung ist nach wie vor aufwändig, jedoch ein vollständig beherrschter Prozess. Dieser Batterietyp stellt die derzeit optimale Kombination von Kapazität/Volumen dar. Die Entwicklungen in der Elektromobilität und in der Eigenversorgung von Häusern durch Solarstrom haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Batteriemodule mehr und mehr bezahlbar werden. Besonders drastisch erkennt man den Preisverfall in den letzten fünf Jahren, in denen Zellenpreise jedes Jahr zweistellig günstiger wurden.
Mittlerweile existieren mehrere Megawatt-Kraftwerke auf Basis von Lithium-Ionen-Batterie-Technik in Deutschland (z.B. in Chemnitz 10 MW, Schwerin 10 MW, Duisburg 30 MW), die von den Energieversorgern genutzt werden, um die Netzqualität (Primärregelleistung) zu verbessern und im Bedarfsfall (z.B. Spitzenstrombedarf) reagieren zu können.
Mit zunehmender Vernetzung von dezentralen Energiespeichern (Lithium-Ionen-Batterien an Solaranlagen), intelligenten Stromzählern, unterbrechungsfreien Stromversorgungen bis hin zu Megawatt-Speichern und der Elektromobilität wird eine ganz neue Netztopografie entstehen. Und Batterien aus der E-Mobility können in ihrem „Second-Life“ noch für Jahre Energie speichern und abgeben, sodass die wertvollen Ressourcen zur Herstellung der LION-Batterien effektiv geschont werden können (Beispiel: Nissan Leaf Batterien in der Amsterdam Arena).
Umwandlung elektrischer in chemische Energie
Wegen der fluktuierenden Strombereitstellung durch erneuerbare Energien (Erdwärme wird in Deutschland keine Rolle spielen, obwohl sie grundlastfähig wäre) muss die erzeugte elektrische Energie irgendwie gespeichert werden.
- Lösungen wie Speicherwasserkraftwerke scheitern im dichtbesiedelten Deutschland überwiegend an den hohen Zulassungsbeschränkungen,
- Druckluftspeicher in stillgelegten Bergwerken können zu Bodensenkungen führen,
- Schwungmassen-Speicher sind nicht für hohe Energiemengen einsetzbar.
Eine der vielversprechendsten Lösungsansätze ist jedoch die Umwandlung elektrischer in chemische Energie, genauer in Sauerstoff und Wasserstoff. Wasserstoff lässt sich Erdgas beimischen. Es steht auf diese Weise im umfänglichen und gut ausgebauten Gasverteilnetz mit einer enormen Speicherkapazität zur Verfügung.
Natürlich beinhaltet die Transformation elektrisch-chemisch und schließlich wieder zurück chemisch-elektrisch einen noch recht hohen Verlustfaktor. Aber dieser Speicher- und Rückgewinnungsprozess leistet einen unschätzbaren ökologischen Beitrag durch die Schonung der endlichen Ressourcen der primären Energieträger Kohle, Öl und Gas und leistet dadurch auch einen unschätzbaren Beitrag zur Reduzierung des Anstiegs der Erderwärmung.
Die Rolle der Gleichspannung bei der Energieversorgung der Zukunft
Beide vorgestellten Lösungsansätze haben eine wesentliche Gemeinsamkeit: Sie basieren auf Gleichspannung. Über 100 Jahre nach dem Stromkrieg und dem Sieg des von Westinghouse favorisierten Wechselstroms (AC) über den von Thomas Alva Edison favorisierten Gleichstrom (DC) beginnt nun eine neue Ära.
In sehr vielen Geräten wird derzeit der zur Verfügung gestellt Wechselstrom am Ende wieder in Gleichstrom gewandelt und dies mit durchaus beträchtlichen Energieverlusten.
Um den von Brennstoffzellen, Megawatt-Li-Ion-Speichern oder Solaranlagen produzierten Gleichstrom in das derzeitige Wechselstromnetz einspeisen zu können, sind Wechselrichter (DC/AC-Wandler) notwendig, die den Gleichstrom in Wechselstrom wandeln. In den Endgeräten, die sehr häufig mit Gleichstrom betrieben werden (LED-Beleuchtung, Batterie-Speichersysteme, elektronische Geräte) wird dann die Wechselspannung wieder gleichgerichtet (AC/DC-Wandler). Dort entstehen ebenfalls nennenswerte Energieverluste.
Auch Energiequellen wie Kleinwasserkraftwerke und Windturbinen wandeln die produzierte Wechselspannung zunächst in einem Zwischenkreis in Gleichspannung um. Diese wird meist im Pulsweitenmodulationsverfahren (PWM) – wiederum mit Energieverlusten – in eine netzkonforme Wechselspannung umgewandelt.
In vielen Geräten machen die Verluste bei der Stromumwandlung 40% bis 80% der Gesamtleistung aus und sind für bis zu etwa 50% der Herstellkosten verantwortlich.
All diese Wandlerverluste (DC-AC-DC) können reduziert werden durch ein Low Voltage Direct Current Netz (LVDC) unterhalb der großen Verteilnetze der Energieversorger.
Haushalte, Industriebetriebe, Kommunen und große Einrichtungen wie Kongresshallen und Hotels verbrauchen einen großen Anteil der elektrischen Energie in Form von Gleichspannung (z.B. Straßen- oder Hallenbeleuchtung).
In diesen Fällen können Wandlerverluste deutlich reduziert werden, wenn die elektrische Energie aus Gleichstromquellen ohne den Umweg über die Wechselspannungsnetze genutzt werden kann.
Ein Gleichstromnetz, in dem viele verschiedene Spannungsquellen integriert werden, hilft zudem, die erhebliche Überdimensionierung der klassischen Stromversorgungsnetze zu verringern. Nicht wenige einzelne Kraftwerke müssen gegenseitig bei einem Ausfall die fehlende Kapazität zur Verfügung stellen. Es wird vielmehr eine Lastverteilung auf viele Quellen geben. Gleichspannung kann zusätzlich auch auftretende Blindleistungsverluste in Wechselstromnetzen reduzieren und so die Netzbelastung reduzieren. Gleichstrom benötigt außerdem einen geringeren Kabeldurchmesser bei gleicher Stromstärke, bestehende Leitungen können im LVDC-Netz unverändert weiter benutzt werden.
Standardisierung als Erfolgsgarant
Das Deutsche Institut für Normung (DIN), die Deutsche Kommission für Elektrotechnik (DKE), ebenso die Europäischen Normungsorganisation CEN und CENELEC sowie die Internationalen Normungsorganisationen wie ISO und IEC sind – zusammen mit Forschungseinrichtungen und der einschlägigen Industrie (EV-Automobile, Solaranlagen, Energieversorger) - intensiv dabei, Standards zu entwickeln, um einem solchen LVDC-Grid den Weg zum Erfolg zu bereiten. Denn die Anzahl an DC-Stromquellen und DC-Verbrauchern wird in den kommenden Jahren explodieren.
Besonders auch die Integration von Elektrofahrzeugen (48 bis 900 VDC) in die Smart-Home-Infrastruktur erweitert die zukünftigen Möglichkeiten der Energiespeicherung. Eine standardisierte Vernetzung der Informations- und Kommunikationsnetze (IKT) innerhalb und außerhalb des Hausnetzwerkes ist für eine erfolgreiche Integration Grundvoraussetzung. Ein Beispiel für den Bedarf an Standardisierung stellt auch die heute noch sehr große Uneinheitlichkeit der Bezahlsysteme an E-Mobil-Ladestationen dar. Wer weitere Strecken fährt, tut gut daran, Bezahlsysteme mehrerer Anbieter dabei zu haben.
* Gerald Friederici ist Prokurist bei der CMC Klebetechnik GmbH in Frankenthal (Pfalz).
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