Disruption mit Startschwierigkeiten: Die Komplexität der Elektromobilität
Der Durchbruch der Elektromobilität lässt nach wie vor auf sich warten. Dabei gibt es bereits Impulse und Konzepte, die diese Entwicklung entscheidend vorantreiben könnten – wenn man sie erkennt und nutzt.
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Um die Herausforderungen und Chancen von Elektrofahrzeug-Startups, Tesla oder den verschiedenen Herstellern zu verstehen, muss man den aktuellen Status des Marktes betrachten. Die Situation ist mehr als komplex: Bisher verdient noch niemand Geld mit Electric Vehicles (EV). Die Fahrzeuge sind in der Produktion teurer als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und erfordern hohe Händleranreize. Hersteller können ihre tatsächlichen Kosten nicht im Transaktionspreis abbilden, wenn EVs wettbewerbsfähig mit Verbrennern sein wollen.
Die Restwertentwicklung von entsprechenden EVs ist nach wie vor schwierig zu prognostizieren. Auch ist eine Differenzierung im Wettbewerbsumfeld über den Antrieb – anders als bei Verbrennern schwierig. Der Differenzierungsfaktor liegt bei Electric Vehicles v.a. im Interieur- und Exterieur-Design, der Vernetzung und in der Reichweite. Darüber hinaus ist das Ökosystem von EVs – im Wesentlichen eine hocheffiziente Ladeinfrastruktur – noch nicht flächendeckend genug ausgebaut. Diese Kombination von Einzelfaktoren sorgt für den zähen Abverkauf von Elektrofahrzeugen.
Finanzielle Förderung ist unabdingbar
Allein die Subventionierung scheint ein echter Kaufanreiz zu sein. Subventionen können EVs insgesamt attraktiver machen und ihre Akzeptanz erhöhen. In Deutschland greifen mittlerweile viele Nutzer von Dienstfahrzeugen nach Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen (PHEVs) bzw. EVs, da die Versteuerung von einem auf 0,5 bzw. 0,25 Prozent reduziert wurde. Wegen der Corona-Krise erhöht der Bund den Umweltbonus für E-Autos und Plug-in-Hybridmodelle ab dem 1. Juli 2020 auf bis zu 9.000 Euro. In China konnte man im letzten Jahr sehen, dass bei einem Wegfall der Förderung der EV-Markt empfindlich getroffen werden kann. Staatliche Subventionen waren ein wichtiger Treiber für viele der kürzlich gegründeten chinesischen EV-Startups. Als der chinesische Staat die Unterstützung für die Elektroautohersteller im letzten Jahr kürzte, ist der Absatz von Elektrofahrzeugen dramatisch eingebrochen.
Überlebensfähig sind die entsprechenden Hersteller künftig nur dann, wenn es ihnen gelingt, sich zu differenzieren und wenn EVs echten Mehrwert und Kundennutzen bieten – etwa spezielle Fahrspuren für diese Fahrzeuge oder massive Steuervorteile. An den Hürden scheiterte auch Dyson. Das britische Unternehmen – in erster Linie bekannt für seine Staubsauger und Händetrockner – sah sich gezwungen, sein ambitioniertes EV-Projekt einzustellen. Das Unternehmen musste trotz bereits getätigter Investitionen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro einsehen, dass seine Chancen auf Erfolg als weiterer Anbieter in diesem hoch kompetitiven Umfeld äußerst gering sind.
Nachhaltigkeit versus Profitabilität
Aber damit nicht genug. Auch wenn OEMs dazu gedrängt werden, die Akzeptanz und Marktdurchdringung von EVs zu erhöhen, um die CO2-Ziele zu erreichen, ist die Nachhaltigkeit von Elektrofahrzeugen alles andere als geklärt. Aktuell „sterben“ kleinere Fahrzeugtypen mit Verbrennungsmotoren, da sie die Ziele des Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure (WLTP), einem Prüf- und Messverfahren zur Bestimmung des Kraftstoffverbrauchs und der Abgasemissionen von Kraftfahrzeugen, nicht erreichen. Dazu wären Mehrkosten von 3.500 Euro pro Fahrzeug notwendig, die aber wiederum zu hoch sind, um sie im Preis an die Kunden weiterzugeben. Genau diese Modelle wären es aber, die dabei helfen können, die CO2-Ziele zu erreichen. Hersteller ersetzen also kleine Verbrenner mit einer geringen Marge durch kleine EVs mit einer noch schlechteren Marge.
Die Krux mit dem Wiederverkauf: Lohnt das Invest?
Eine weitere Herausforderung ist die Entwicklung des Gebrauchtwagenmarkts. Niemand weiß, zu welchem Preis man ein gebrauchtes EV verkauft – oder ob es auf dem Markt überhaupt eine Nachfrage dafür geben wird. Die Restwerte sind alles andere als klar, da es keine Erfahrungswerte gibt. Ein Beispiel: VW verkauft die letzte Generation des E-Golfs mit 50 Prozent Rabatt. Man erhält ein „neues“ Auto für 20.000 € anstatt 40.000 €. Was das für den Wiederverkaufswert eines gebrauchten EV bedeutet, ist offensichtlich. Da sich außerdem die Laufleistung und Ladefunktionen mit jeder neuen Fahrzeuggeneration verbessern, sinkt der Restwert älterer EVs vermutlich rasant – viel stärker als bei herkömmlichen Verbrennern. Die Schlüsselfrage lautet: Ist es eine gute Investition, ein EV zu kaufen? Interessenten kämpfen mit dieser Frage und die Hersteller mit der Kalkulation profitabler Leasingmodelle als Alternative zum Kauf.
Harter Wettbewerb aus Fernost
Auch wenn die chinesische Regierung die Subventionen für Elektrofahrzeuge gekürzt hat, ist es zweifelhaft, dass sie den Markt für mittlere bis gehobene Elektrofahrzeuge dauerhaft ausländischen Akteuren überlassen wird – insbesondere nicht denen aus den USA. Es ist wahrscheinlich, dass die dortige Regierung die ein bis zwei stärksten Anbieter fördern wird, bis diese sich durchsetzen. Diese Unternehmen dürften durch den Staat geschützt und finanziert werden – entweder direkt oder indirekt über Tochtergesellschaften. Sie könnten auf globaler Bühne mit dem chinesischen Know-how in den Bereichen Massenproduktion, groß angelegten Operationen, ausländischen Ingenieurskenntnissen, eher niedrigen Arbeits- und Faktorkosten sowie dem Zugang zu kritischen Rohstoffen für Batterien in Afrika können die chinesischen Akteure im EV-Markt zu starken internationalen Wettbewerbern werden, sollte die chinesische Regierung ihre EV-Bemühungen weiter vorantreiben.
Standardisierten, skalierbaren Lösungen und Ökosystemen gehören die Zukunft
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, ein skalierbares Antriebsmodell (Antriebsstrang, Batterie, ECU, Plattform) zu entwickeln. Durch starke Standardisierung lassen sich hohe Stückzahlen mit wenigen Varianten realisieren. Eine solche White-Label-Lösung kann von einem OEM, einem Startup oder auch von einem Zulieferer kommen. Anbieter können ihr standardisiertes Antriebsmodell vielen verschiedenen „Karosseriebauern“ offerieren, die der Plattform dann ihren eigenen „Hut“ aufsetzen. Durch eine geschickte Architektur lässt sich ein differenzierendes Design schaffen. Der Vorteil liegt in der Flexibilität, Fahrzeuge schnell, relativ einfach und kostengünstig zu aktualisieren und aufzurüsten – etwa wie beim Rinspeed Snap-Konzept. Zudem bedeutet die Skalierung auf verschiedene Anwendungsfälle längere Lebenszyklen.
Wir bewegen uns also auf einem komplexen Markt, der sich kontinuierlich weiterentwickelt – sowohl strukturell als auch technologisch. Diese Transformation bietet große Chancen für diejenigen, die die richtigen Lehren daraus ziehen und schnell handeln. Im Kern geht es darum, dass alle Beteiligten – von den Anbietern über die Gemeinden bis zu den nationalen Regierungen – kooperieren und verbindliche Standards vereinbaren. Es gilt ein flächendeckendes Ökosystem zu installieren und die diversen Einzelaktivitäten aller Beteiligter zu koordinieren. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, lassen sich die extrem hohen Investitionen, die mit der Elektromobilität verbunden sind, stemmen. Partnerschaften sind dafür unerlässlich. Diese komplexen Herausforderungen erfordern jedoch Mut, ein Umdenken und eine aktive Beteiligung – seitens der Hersteller wie der Politik.
* Philip Beil ist Senior Vice President und Industry Lead Transportation & Mobility EMEA/APAC. Matthias von Alten ist Vice President und Management Consulting Lead Transportation & Mobility. Beide sind für das Beratungshaus Publicis Sapient tätig.
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