Die Hürden der Transformation
Differenzierungsmerkmale verschieben sich, die Profitabilität sinkt und die Vormachtstellung bröckelt. Wie der deutschen Autoindustrie der Wandel dennoch gelingen kann, erläutert Matthias von Alten, ehemaliger Leiter Marken- und Produktstrategie bei BMW und VW und jetzige Mobility Strategy Lead bei Publicis Sapient, im Interview.
Anbieter zum Thema

Nach dem Absturz zweier Boeing-Maschinen mehren sich die kritischen Stimmen, dass ein übereilter Time-to-Market eines der Grundprobleme wäre. Könnte der Zeitdruck auch zu ähnlichen Problemen in der Automobilbranche, speziell bei künftigen automatisierten und autonomen Fahrzeugen, führen?
Matthias von Alten: Wir haben Ähnliches schon bei Tesla gesehen. Dort wurde der kundennahe Test angewandt. Die Fahrzeuge absolvierten keinen kompletten Prüfzyklus, wie bei der traditionellen Automobilindustrie üblich, sondern wurden in einem unreiferen – ich betone unreiferen, nicht unreifen – Status ausgeliefert. Das Unternehmen zog anhand von Nutzungsprofilen der Kunden und der anschließenden Datenauswertung entsprechende Rückschlüsse und passte darauf basierend die Fahrzeuge an. Dies kann eigentlich nur in nicht-sicherheitsrelevanten Bereichen erfolgen. Es ist ein kritisch zu bewertendes Vorgehen, speziell bei automatisierten Fahrfunktionen oder Sicherheitsfeatures.
Wie sieht es mit der deutschen Automobilindustrie aus?
Matthias von Alten: Der Qualitätsanspruch der traditionellen Automobilhersteller ist und bleibt definitiv ein anderer. Das gilt für europäische, aber auch für japanische, US-amerikanische und zunehmend für chinesische Marken. Das Problem ist allerdings, dass in allen softwarebasierten Bereichen keine Dauertests – wie im Motorenbau – in vergleichbarem Umfang möglich sind. Da die Systeme komplexer werden und bestimmte Umfeldbedingungen noch nicht zu 100% simuliert werden können, sind bei der Software keinesfalls alle Eventualitäten frühzeitig identifizierbar. Man sieht das exemplarisch auch bei Apple. Warum folgt ein Release auf den nächsten? Weil immer wieder Fehler gefunden werden, die man nicht vorhersehen und auch im Vorfeld nicht testen konnte. Nun liegt auch in der Automobilindustrie der Fokus auf der Software-Entwicklung. Hier müssen sämtliche Hersteller eine sehr steile Lernkurve in einem äußerst kurzen Zeitraum bewältigen.
Die Zeit drängt auch in der Elektromobilität. Immer wieder heißt es, die deutschen Automobilhersteller hätten hier den Start verschlafen. BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich sagt, darüber könne er nur schmunzeln und man habe gar nichts versäumt. Hat er Recht und gilt das auch für die anderen deutschen OEM?
Matthias von Alten: Man muss sich nur einmal ansehen, was BMW bereits vor einigen Jahren mit der Marke BMWi und den Fahrzeugen i3 und i8 angeboten hat. Das erzeugte einen sehr positiven Impuls in Richtung Elektromobilität. Die eindeutige Zielsetzung war, das Thema Elektromobilität aus dem Bereich „EfficientDynamics“ weiterzuentwickeln und auf die nächste Stufe zu heben. Dass nun alle anderen Automobilhersteller an dem Thema mit Hochdruck arbeiten, ist überwiegend der Politik und ihrer neuen Gesetzgebung geschuldet. Doch das Problem ist und bleibt, dass man nicht weiß, wie man mit Elektromobilität nachhaltig Geld verdienen soll. Es gibt zu viele ungewisse Parameter.
Lässt sich mit einem Elektrofahrzeug zwangsläufig weniger Geld verdienen, da die Differenzierungsmerkmale der einzelnen Marken wegfallen?
Matthias von Alten: Wenn ich etwa an BMW denke, sind noch immer „Freude am Fahren“ und „Dynamik“ die prägenden Elemente des Markenkerns. Die Differenzierungsmöglichkeiten über das reine Fahrverhalten wird es in der Elektromobilität nicht mehr geben. Die Differenzierung erfolgt vielmehr über das Innenraumkonzept und die Reichweite. Das ist einer der Gründe, weshalb VW nun seinen modularen Elektrobaukasten auch anderen Herstellern zugänglich macht. Gleiches Spiel bei BMW und Daimler, die gemeinsam eine Plattform für autonome Fahrzeuge entwickeln wollen. Warum? Bei autonomen Fahrzeugen steht das individuelle Fahrverhalten und damit das aktuelle Markenverständnis nicht im Vordergrund, sondern das ganzheitliche Servicekonzept. Um die hohen Investitionskosten zu kompensieren, ist die Skalierung von Fahrzeugplattformen zwingend erforderlich. Aus diesem Grund öffnen sich Automobilhersteller heute für neue Partnerschaften, die noch vor einigen Jahren unvorstellbar waren.
"Joachim Milberg war ein Paradebeispiel für Überzeugungskraft"
Die Absatzzahlen stagnieren oder gehen gar zurück und die Gewinne brechen ein. Welche Hebel können die Automobilhersteller hier kurzfristig umlegen, um dies auszugleichen?
Matthias von Alten: Kurzfristig? Das dürfte schwierig werden. Das liegt an mehreren Faktoren. Zum einen kommen nun die Millennials zum Zug, die entscheiden werden, ob sie ein Fahrzeug kaufen, leasen oder direkt per Abo beziehen. Im Verhältnis zur vorherigen Generation kauft diese Zielgruppe seltener ein Auto, sondern setzt prinzipiell auf Sharing. Umgerechnet entsprechen ca. 70 bis 80 Carsharing-Nutzer einem nicht verkauften Auto. Bei deutlich über zwei Millionen Carsharing-Nutzern in Deutschland hat dies einen zunehmend negativen Einfluss auf den Absatz.
Zum anderen spielen die sinkenden Margen der Automobilhersteller eine große Rolle. Natürlich trägt auch die Diesel-Geschichte dazu bei. Letztlich verursachen ständig neue Abgas- und Gesetzesanforderungen hohe Kosten, die nicht an den Kunden weitergegeben werden können. Darüber hinaus nimmt die Ausgabebereitschaft für Fahrzeuge ab. Der Kunde entscheidet sich zunehmend für kleinere Fahrzeuge mit niedrigerer Ausstattung, die entsprechend niedrigere Margen haben. Dies führt in Summe zu einer Schwächung der Profitabilität eines Automobilherstellers.
Die Automobilhersteller richten sich neu aus – auch personell. Bei Daimler übergibt Dieter Zetsche noch 2019 an den bisherigen Entwicklungschef Ola Källenius. Bei BMW steht Harald Krüger noch ein Jahr unter Vertrag. Ist er der richtige Mann für die Zukunft oder wäre exemplarisch Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich in der aktuellen Situation der bessere CEO?
Matthias von Alten: Zu personalpolitischen Entscheidungen oder Empfehlungen möchte ich mich aus der Distanz nicht äußern. Es ist aber zu erkennen, dass die Komplexität der Führung eines Automobilherstellers extrem zugenommen hat. Durch die veränderten Anforderungen der Mitarbeiter und die Umwälzung der gesamten Branche sind heutzutage multidimensionale Führungsparameter und -elemente gefragt – was ein Klaus Fröhlich aber ohne Zweifel könnte.
Die entscheidende Frage ist: Was macht einen guten CEO in der aktuellen Situation aus? Ist es das entschlossene Durchgreifen oder ist es die Überzeugungskraft? Ein Paradebeispiel bei BMW war einst Joachim Milberg. Ihm gelang es, nach dem Rover-Debakel mit einer ruhigen Hand das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Für die künftigen Aufgaben geht es darum, die richtigen Leute an Bord zu bekommen, aber auch die richtigen Leute zu halten. In der jüngeren Vergangenheit sind bei BMW einige sehr gute Leute gegangen. Dies alles im dynamischen Umbruch der Industrie in Griff zu halten, ist eine absolute Herkulesaufgabe.
Wie kann das künftig gelingen?
Matthias von Alten: Es braucht eine klare Vision, die entsprechend durchgängig und nachhaltig kommuniziert, aber auch verkörpert werden muss. Exemplarisch sind hier die Unsicherheiten bei der strategischen Ausrichtung bezüglich der Elektromobilität zu nennen. Innerhalb der Unternehmen, mit denen ich spreche, sind diese klar erkennbar. Dass sich viele Mitarbeiter die Frage stellen „Ist das der richtige Weg?“, ist ganz normal. In einem chinesischen Unternehmen gäbe es darüber keine Debatte. Es wird einfach gemacht und alles auf die entsprechenden Ziele ausgerichtet. Die chinesische Automobilindustrie ist in der Elektromobilität mit einer Geschwindigkeit unterwegs, der die meisten traditionellen Automobilhersteller noch nicht folgen können.
Geschwindigkeit als Stichwort: Volvo begrenzt künftig die Höchstgeschwindigkeit bei Neufahrzeugen auf 180 km/h und setzt zudem auf eine permanente Überwachung des Fahrers. Im Zweifel soll das Fahrzeug auch die Fahrt verhindern oder abbrechen. Ist das gesellschaftsfähig?
Matthias von Alten: Zunächst müssen wir uns alle doch die Frage stellen, wo eigentlich Geschwindigkeiten jenseits der 180 km/h noch gefahren werden können. Die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit hat aber auch den klaren Vorteil, dass das Fahrzeug technisch anders ausgelegt werden kann. Man kann die Bremsen kleiner dimensionieren, den Motor kleiner planen oder auf andere Materialien zurückgreifen. Das reduziert am Ende des Tages die Kosten und steigert die Profitabilität. Was Volvo bei der Innenraumüberwachung und dem potenziellen Eingreifen durch das Fahrzeug plant, ist eine Art Vorstufe des autonomen Fahrens. Nicht zuletzt auch, um das Bewusstsein schon einmal vorab zu schärfen. Was hierfür noch immer fehlt, ist die gesetzliche Grundlage.
Bis wann kann mit einer rechtlichen Grundlage geplant werden?
Matthias von Alten: Das wird noch sehr lange dauern. Wenn ich mir ansehe, welche Diskussionen bezüglich der Sommer-/Winter-Zeitumstellung geführt werden, habe ich keine Vorstellungskraft, wie lange es dauern soll, bis wir ein deutsches, europäisches oder sogar globales Regelwerk für automatisierte und autonome Fahrzeuge bekommen. Hinzu kommt, dass die Politik von der Thematik relativ weit entfernt ist. Der Dialog mit den Experten ist sicherlich zu intensivieren. Dies zeigte sich bereits bei der Elektromobilität. So hat es über zwei Jahre gedauert, um auf einen einheitlichen Standard bei den Steckern zum Laden des Fahrzeugs zu einigen.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1500500/1500570/original.jpg)
Neue Services als neue Kundenschnittstelle – Diskrepanz zwischen Nutzen und Profitabilität
(ID:45845965)