Güterverkehr „Nachhaltigkeit darf kein Nice to Have mehr sein“
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Etwa 35 Prozent der Emissionen aus dem deutschen Verkehrssektor werden von Nutzfahrzeugen ausgestoßen. Da das Transportvolumen eher wächst als sinkt, muss in diesem Bereich die Dekarbonisierung beschleunigt werden. Im Interview erklärt Matthias Friese von Xpress Ventures, wie das aus seiner Sicht gelingen könnte.

Wie bekommt man den Güterverkehr „grün“? Mit dieser Frage wird sich wohl auch die nächste Regierung beschäftigen. Welcher Verkehrsträger das größte Potenzial bei der Dekarbonisierung des Transportwesens hat, wie die Politik vorgehen kann, was Unternehmen tun sollen und was von den Endkonsumenten in diesem Zusammenhang erwartet werden kann, dazu haben wir mit Matthias Friese gesprochen. Friese leitet Xpress Ventures, den Company Builder der Fiege Logistik Stiftung.
Redaktion: Im Transportwesen unterscheidet man zwischen Straße, Schiene, Luft und Wasser. In welchem dieser Bereiche kann man am meisten CO2 einsparen?
Matthias Friese: Am meisten Potenzial sehe ich auf der Straße. Dort stößt zwar jedes einzelne Fahrzeug lange nicht so viel CO2 aus, wie beispielsweise ein Schiff, aber das Volumen ist insgesamt um ein Vielfaches höher. Man darf aber die anderen Bereiche auch nicht außer Acht lassen. Wir betrachten ebenfalls Dinge wie autonome Frachtschiffe mit Interesse. Und Einsparpotenziale auf der Straße hängen mit anderen Verkehrsträgern zusammen. Wenn man mehr auf die Schiene verlegt und alte Bahnhöfe und Strecken reaktiviert, ließen sich nicht nur Emissionen reduzieren, sondern auch der Straßenverkehr entlasten. Auf der Straße direkt lässt sich über die Elektrifizierung und den Einsatz von Brennstoffzellen bei den Antrieben am einfachsten etwas bewirken.
Potenzial zu haben ist das eine, etwas umzusetzen das andere. In welchem Bereich wird bis zur „magischen“ Grenze 2030 am meisten passiert sein?
Ebenfalls auf der Straße. Denn dort ist der Entwicklungsdruck am größten. In der Luft, beim Thema Drohnen zum Beispiel, sind die Regularien das Problem. Da spielen die Versicherer und die Luftfahrtbehörden nicht mit. Und von Konzernen wie Airbus und Co. kommt auch Gegenwind.
Womit kann man in den nächsten Jahren mehr Emissionen sparen, Supply Chain Management oder alternative Antriebe?
Das kann man nicht wirklich beantworten. Denn die beiden Bereiche werden unterschiedlich beeinflusst. Beim Supply Chain Management oder Warehousing können die Unternehmen viel selbst bewegen. Routenoptimierung oder effizientere Beleuchtung, Heizung und deren Steuerung sind Beispiele für Maßnahmen, die allein an der Firma hängen. Bei alternativen Antrieben sind mehr Parteien beteiligt. Forschung, Entwicklung, Regularien und die Infrastruktur können nicht von den Firmen allein gestemmt werden. Dabei ist man auf Kooperationen angewiesen. Und die müssen erst einmal zustande kommen.
Im Straßenverkehr liegt der Fokus momentan auf batterieelektrischen Konzepten. Ist das wirklich der beste Weg, oder sollte man andere Technologien auch verfolgen?
Wir stehen vor dem Sprung in das E-Mobilitäts-Zeitalter. Aber die endgültige Lösung wird das nicht sein. Denn noch ist die Produktion von E-Fahrzeugen nicht umweltfreundlich. Das gilt auch für die Batterieproduktion und die Entsorgung der Energiespeicher. Es stellt sich die Frage: Wie kann man Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen? Vermutlich wird auch in 10 Jahren nicht alles elektrisch fahren. Und auch der Wasserstoff ist kein Allheilmittel. Denn der muss grün produziert werden. In dem Bereich wird viel geforscht und gearbeitet. Trotzdem kann es weiterhin Anwendungsfälle geben, in denen ein Verbrenner noch sinnvoll ist.
Können regionalere Produktionen und Lieferketten Emissionen reduzieren?
Ja, es kann sinnvoll sein, das zu forcieren. Nicht nur mit Blick auf die Nachhaltigkeit, sondern auch auf die Performance. Die Lieferketten sind kürzer und einfacher. In vielen Fällen, wird es aber schlichtweg nicht möglich sein. Manche Waren lassen sich nicht regional herstellen. Die Infrastruktur für regionale Lieferketten ist nicht überall gegeben. Im Endeffekt muss die Ware in erster Linie ankommen. Darauf liegt der Fokus.
Wird der CO2-Preis die Dekarbonisierung des Transportwesens beschleunigen?
Ja. Denn gerade in der Kontraktlogistik haben wir in den letzten Jahren einen Preiskampf gesehen. Das Preisgerüst ist dort ein ausschlaggebender Faktor. Nachhaltigkeit wird bei den Kunden und Vertragspartnern auch eine Rolle spielen. Vielleicht noch nicht heute. Aber bald wird sie bei der Kaufentscheidung einbezogen werden. Und dann muss ein Unternehmen so nachhaltig auftreten, dass der Kunde ihm vertraut.
Wie muss die Politik die Dekarbonisierung in der Mobilität vorantreiben?
Der Druck auf die Industrie muss steigen. Allerdings müssen nicht nur die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. Der Konsument muss genauso in die Pflicht genommen werden. Es muss sich lohnen, auf E-Mobilität umzusteigen. In Berlin ist das relativ einfach. Hier kann ich beispielsweise zwischen Torstraße und Alexanderplatz vier Mal laden. Irgendwo auf dem Land kann das schwierig werden. Die Infrastruktur muss schneller ausgebaut werden und die Konzepte müssen subventioniert werden. Die Politik muss sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen Anreize schaffen.
Also sind Anreize besser als Verbote?
Ja. Die Unternehmen müssen das Gefühl haben, dass sie unterstützt werden. Denn in der Thematik Nachhaltigkeit ist nicht jeder tief drin. In der Transportbranche ist man über 100 Jahre mit Lkw mit Verbrennungsmotor gefahren. Dass sich Nachhaltigkeit lohnt muss aus den Nutzungsbilanzen erkennbar sein. Ein Spediteur muss sehen können, dass sich Maßnahmen zur Emissionsreduzierung lohnen. Wenn nötig, über Subventionen. Nachhaltigkeit darf kein Nice to Have mehr sein, sondern muss ein Must Have werden.
Vielen Dank für das Interview!
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