Autonomes Fahren Kontrol-CEO Lauringer: „Das Ziel müssen 10 Gebote sein, die jeder verstehen kann.“
Das Tech-Unternehmen Kontrol hat sich mit seinen Softwareprodukten einen Namen gemacht. Sie helfen im Bereich der automatisierten Mobilität bei der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Kontrol-Chef Andreas Lauringer erklärt im Gespräch, wo und warum es in Deutschland derzeit bei diesem Thema noch hakt.

Der Hype um das autonom fahrende Auto ist laut Stellantis-Chef Carlos Tavares vorbei. Fahrzeuge auf dem höchsten Automatisierungslevel wird es niemals geben, erklärte er im Rahmen des CAR-Symposiums in Bochum. Wie bewerten Sie diese Aussage des derzeit erfolgreichsten Automobilmanagers?
Ich denke, dass die Entwicklung autonom fahrender Autos wie alle neuen Technologien dem Gartner Hype Zyklus folgt. Das heißt konkret: Schon vor fünf Jahren hat jeder Automobilhersteller ein Level 5-Fahrzeug präsentiert – Alltag sind sie heute aber noch nicht. Technologie in der Breite auf die Straße zu bringen, und zwar robust und sicher, dauert. Auch die Elektrifizierung findet erst zehn Jahre nach dem Hype statt. Wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, wo die Funktionen entwickelt werden und auf den Markt kommen, die funktionieren und für die ein Kunde zahlt: Parken, Autobahnfahren, Hub-to-Hub LKW. Das Interesse der Menschen hat in der Zwischenzeit abgenommen, das ist ganz normal und wird sich auch wieder ändern.
Die interessantere Frage ist: Wollen Menschen überhaupt Level 5-Fahrzeuge? Wollen sie nur gefahren werden, immer und überall. Ich glaube an eine autonome Zukunft, aber selbst ich denke, dass ein Mix aus aktivem und passivem Fahren gut sein wird, der den Komfort, die verfügbare Zeit und die Sicherheit erhöht.
In einem von Kontrol erstellten Forderungspapier sprechen sie von „eindeutigen Zuständigkeiten“. Was meinen Sie damit konkret?
Wir meinen damit, dass eine zentrale Anlaufstelle fehlt und eindeutige Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten definiert werden müssen, wenn es um den Betrieb von autonomen Fahrzeugen geht. Also eine klare Regelung, wer für welche Aspekte des autonomen Fahrens verantwortlich ist; zum Beispiel für die Technologieentwicklung, die Wartung und Reparatur, die Datensicherheit, die Haftungsfragen bei Unfällen oder auch die Entscheidungsfindung bei kritischen Situationen.
Warum ist das so wichtig? Damit alle Beteiligten im autonomen Fahrzeugsektor, wie zum Beispiel Automobilhersteller, Technologieunternehmen, Regulierungsbehörden und Versicherungen, für ihre Bereiche die Verantwortung übernehmen. Nur so können wir gewährleisten, dass autonome Fahrzeuge sicher betrieben werden und im Falle von Unfällen oder anderen Vorfällen, die Verantwortlichkeiten klar sind.
Übergeordnet geht es darum, ein vertrauenswürdiges Umfeld für autonome Fahrzeuge zu schaffen. Wer würde sich für ein autonomes Fahrzeug entscheiden, wenn er im Fall von Defekten keine Anlaufstellen hat? Wenn nur das Auto digital wird, haben wir nur den halben Weg geschafft – wir müssen darauf achten, dass es pragmatische, umsetzbare End-to-End-Lösungen gibt.
Wer sind aus Ihrer Sicht in Deutschland derzeit die wirklichen Treiber?
Es gibt in Deutschland verschiedene Unternehmen, die in diesem Bereich aktiv sind und bedeutende Beiträge leisten. Dazu gehören Automobilhersteller wie Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz und Audi sowie Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF. Aber auch Technologieunternehmen wie Microsoft, Google, die TÜVs, Infineon, oder Deloitte sind im Bereich des autonomen Fahrens tätig.
Neben den Unternehmen gibt es den VDA (Verband der Automobilindustrie), der die Interessen von mehr als 650 Herstellern und Zulieferern vertritt, verschiedene Forschungsinstitutionen, Universitäten und Fachhochschulen, die sich mit dem Thema autonomes Fahren beschäftigen und wichtige Beiträge zur Entwicklung leisten.
Man sieht: In Deutschland gibt es viele Akteure, die sich für die Entwicklung und Umsetzung des autonomen Fahrens engagieren. Die Zusammenarbeit und Koordination dieser Akteure sind entscheidend.
Was macht Österreich, die Heimat von Kontrol, derzeit schon besser? Ist Österreich als Standort für Projekte zum autonomen Fahren attraktiver als Deutschland?
Es ist schwierig zu sagen, ob Österreich als Standort für Projekte zum autonomen Fahren attraktiver ist als Deutschland. Beide Länder haben ihre eigenen Stärken und Herausforderungen.
Was Österreich meiner Meinung nach besser macht, ist, dass es auf der staatlichen Seite eine Anlaufstelle gibt. So kann zielgerichtet gearbeitet werden.
Sind Teststrecken wie ZalaZONE in Ungarn auch in anderen europäischen Ländern geplant?
Ja, es gibt Pläne für ähnliche Teststrecken für autonomes Fahren in anderen europäischen Ländern. Zum Beispiel plant Spanien eine große Testumgebung für autonome Fahrzeuge namens „Connected and Automated Driving Corridor“, die mehrere Städte und Autobahnen miteinander verbindet. Auch in Deutschland gibt es verschiedene Teststrecken für autonomes Fahren, wie zum Beispiel die „Digitale Teststrecke Autobahn“ auf der A9 in Bayern oder das „Testfeld Niedersachsen“ auf der A39 und der A2 in Niedersachsen.
Ein weiteres Beispiel ist das „Kolumbus“-Projekt in Schweden, bei dem eine Testumgebung für autonome Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen in Göteborg und Stockholm geschaffen wird. Darüber hinaus gibt es in verschiedenen europäischen Ländern auch Pläne für den Einsatz von autonomen Fahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr, beispielweise in den Niederlanden, wo ein Pilotprojekt für autonome Shuttlebusse in Groningen gestartet wurde. Insgesamt ist zu erwarten, dass in den kommenden Jahren weitere Teststrecken und Projekte zum autonomen Fahren in Europa entstehen werden.
Sie fordern auch einheitliche Kriterien, Szenarien, Bewertungsmethoden und Tests für die Softwarequalität sowie funktionale Sicherheit. Warum ist dies derzeit noch nicht gegeben und wie viele verschiedene Bewertungsmethoden gibt es beispielsweise?
Derzeit gibt es noch keine einheitlichen Kriterien, Szenarien, Bewertungsmethoden und Tests für die Softwarequalität sowie funktionale Sicherheit von autonomen Fahrzeugen, da die Entwicklung dieser Fahrzeuge noch in einem frühen Stadium ist und sich viele unterschiedliche Akteure beteiligen, darunter Autohersteller, Zulieferer, Regulierungsbehörden und Forschungseinrichtungen.
Eine Ursache für fehlende einheitliche Kriterien ist die Komplexität der Aufgabe – sie umfasst viele unterschiedliche Aspekte, wie zum Beispiel die Sensortechnologie, die Fahrzeugsteuerung, die Navigation und die Kommunikation mit anderen Fahrzeugen und Verkehrsteilnehmern. Eine andere sind die unterschiedlichen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen in verschiedenen Ländern und Regionen.
Es gibt bereits verschiedene Bewertungsmethoden und Tests für die Softwarequalität sowie funktionale Sicherheit von autonomen Fahrzeugen, wie zum Beispiel die ISO26262 Norm für funktionale Sicherheit, die ISO/PAS 21448 Norm für das Safety-of-the-Intended-Functionality (SOTIF) Konzept und die NHTSA Guidelines for Automated Driving Systems. Allerdings gibt es noch keine einheitlichen Standards oder Zertifizierungsverfahren, die von allen Akteuren akzeptiert und angewendet werden. Es ist wichtig, dass hier eine Einigung erreicht wird, um ein höheres Maß an Sicherheit und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Denn am Ende zählt genau ein Kriterium: Vertrauen wir der Technologie? Wenn wir dies nicht tun oder tun können, wird sich die Technologie nicht nachhaltig durchsetzen und Herr Tavares wird recht behalten. Doch das ist ja eigentlich die Stärke der deutschen Hersteller: Zuverlässigkeit.
Auch die derzeit noch unklaren Anforderungen an die Typenzulassung kritisieren Sie. Was braucht es, um den Prozess zu vereinfachen?
Kurz gesagt, sie brauchen uns: Wir ermöglichen digitalisierte (Verkehrs-)Regeln, ständige Aktualisierungen von Änderungen der Vorschriften auf lokaler Ebene und die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften fast in Echtzeit.
Hier müssen alle, vor allem die Behörden, wirklich digitaler werden. Das zweite sind pragmatische Standards: Die Spielregeln müssen klar sein. Es geht hier um viele komplexe Details, die für den Fahrzeughalter so nicht greifbar und verständlich sind. Das Ziel müssen 10 Gebote sein, die jeder verstehen kann.
Sie sind auch regelmäßig in China. Wie geht man dort mit dem Thema um?
China investiert massiv in die Entwicklung von autonomem Fahren und hat angekündigt, bis 2025 auf Autobahnen vollständig autonomes Fahren zu ermöglichen. Dieses Projekt hat politisch Priorität, so wie die 5G-Abdeckung, die in kürzester Zeit umgesetzt und erreicht wurde.
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