Aufgedeckt Der Further Drache

Redakteur: Dipl.-Ing. (FH) Thomas Kuther

Einen Blick ins normalerweise versteckte Innenleben technischer Geräte und Apparaturen wirft die Redaktion der ELEKTRONIKPRAXIS in der Rubrik „Aufgedeckt“. Diesmal sehen wir uns den Hauptdarsteller des traditionsreichen Further Drachenstichs einmal genauer an: den neuen Drachen.

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Der Drache des Further Drachenstichs ist der weltweit größte Schreitroboter
Der Drache des Further Drachenstichs ist der weltweit größte Schreitroboter
(Bild: Vogel Business Media)

Der Further Drachenstich ist ein Spektakel, das jedes Jahr Zehntausende Gäste anlockt. Unumstrittener Star ist der neue Drache, der seit 2010 die Szene beherrscht. Es handelt sich dabei um den größten vierbeinigen Schreitroboter der Welt, entwickelt von Spezialisten der Zollner Elektronik in Zusammenarbeit mit 35 Projektpartnern.

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Beeindruckendes Innenleben

Der funkferngesteuerte vierbeinige und outdoorfähige Gigant ist 15,50 m lang, 3,80 m breit und 4,50 m hoch und hat ein Gesamtgewicht von 11,0 t. Angetrieben wird das Monstrum von einem 2,0 l Turbodiesel mit 140 PS. Zwei Hydraulikkreisläufe (220 bar Hoch- und 80 bar Niederdruck), 272 Hydraulikventile, 65 animierte Achsen und 238 Sensoren verbunden durch 300 m Hydraulikleitungen, 1300 m elektrische Leitungen sowie 110 m Pneumatikleitungen verdeutlichen in Summe den Umfang des komplexen mechatronischen Systems. Um dem Schreitroboter einen zügigen Transport von A nach B zu ermöglichen, wurde auch ein eigenständiges Transportfahrzeug entwickelt.

Das Projekt Tradinno

Im Februar 2007 startete das Hauptprojekt 'Tradinno' – ein Wortspiel der Begriffe Tradition und Innovation - mit der Konzeptverifizierung. Aus der Norm für funktionale Sicherheit elektronischer Systeme DIN EN 61508, die den gesamten Entwicklungsprozess bis hin zur Abnahme begleitete, ergaben sich Funktionen mit einer Einstufung bis SIL3 (Sicherheit-Integritäts-Level).

Detaillierte Berechnungen und Simulationen

Am Anfang des umfangreichen Projekts standen detaillierte Berechnungen und Simulationen. Mehrkörpersimulationen mit Hilfe von SIMPACK bildeten die vielfältigen dynamischen Bewegungsvorgänge ab. Lebensdauer-, Dauerfestigkeits- und Temperatursimulationen sowie umfangreiche Toleranzanalysen unterstützten die Entwickler im Vorfeld in ihren Berechnungen. Als Planungstool für das gesamte Mechatronik-System wurde das CAD Programm Pro/E (Pro/ENGINEER) eingesetzt, die Elektronik-Board-Layout-Simulation erfolgte mit der Software Hyperlinks.

15-köpfiges Entwicklungsteam

Das 15-köpfige Entwicklungsteam, bestehend aus Experten der Fachbereiche Mechanik, Elektronik und Softwareentwicklung, arbeitete parallel an der Mechanik Konstruktion mit der Auslegung der Tragstrukturen, am Antrieb und den erforderlichen Antriebsleistungen sowie den zugehörigen Steuergeräten.

Neun modular aufgebaute Steuergeräte

Zu den elektronischen Highlights des Tradinno zählen die Eigenentwicklung der Hard- und Software von neun modular aufgebauten Steuergeräten. Diese beinhalten jeweils zwei Prozessoren, den für die Regelung und Steuerung zuständigen DSP (Digital Signal Prozessor) von Texas Instruments sowie einen Fujitsu Mikrocontroller für die Kommunikation. Die FlexRay Kommunikation durch neun im Stern gekoppelte Knoten, die redundant 2 x 10 Mbit pro Steuergerät mit einer Abtastrate von 200 Mikrosekunden (µs) die LVDS-Datenübertragung (Low Voltage Differential Signaling) gewährleisten, erfüllen alle Anforderungen hinsichtlich der Sicherheitsaspekte. Auch die Anbindung der Antriebe und Sensoren, die ebenfalls alle doppelt redundant vorhanden sind, stellte das Elektronik-Entwicklungs-Team vor einige Herausforderungen.

Sieben bewegliche Freiheitsgrade pro Bein

Das Mechanik-Entwicklungs-Team plante währenddessen die mechanischen Anforderungen an dem tonnenschweren Stahlkoloss zu erfüllen. Gerade der Vierbeingang des 15,50 m langen, 3,80 m breiten und 4,50 m hohen Roboters bereitete oft Kopfzerbrechen. Die Lösung, sieben bewegliche Freiheitsgrade pro Bein, die sowohl Kurvengänge als auch den parallel versetzten Hundegang ermöglichen, begeistert Roboter-Spezialisten weltweit. Der Aufbau des Steuerungskonzepts in Verbindung mit dem mathematischen Schreit-Algorithmus ist mittlerweile durch die Zollner Elektronik AG patentiert.

Vier Funkfernsteuerungen

Um dem Schreitroboter im Volksschauspiel seine lebensecht anmutenden Bewegungen zu ermöglichen, erfolgt die bidirektionale Funk-Datenübertragung über vier eigenentwickelte Bedieneinheiten. Auch das 2,0 l Turbodiesel allradangetriebene und –gelenkte Transportfahrzeug mit einem Eigengewicht von 4,3 t, das den Transport des 11,0 t schweren Roboters ermöglicht, wird per Funkfernbedieneinheit bidirektional gesteuert in den wahlweise vier Lenkmodi Vorderachs-, Hinterachs-, Knicklader- oder Hundeganglenkung.

Enge Zusammenarbeit mit innovativen Unternehmen und Instituten

Das Entwicklungsteam nutzte bei der Realisierung des Tradinno das flexible Kompetenz-Netzwerk der Unternehmensgruppe Zollner und arbeitete dabei eng mit innovativen Unternehmen und Instituten zusammen. Die Entwickler ließen dem Roboter-Korpus Flügel mit einer Spanweite von 12 m wachsen, steckten ihn in Polyurethan- und GFK-Haut, füllten die Adern mit 80 l Kunstblut, und halfen Tradinno mit 11 kg Flüssiggas den Anforderungen entsprechend zum Feuerspeier zu mutieren.

Die technischen Daten von Drachen und Transporter

Tradinno:

  • Länge: 15,50 m
  • Breite: 3,80 m
  • Flügelspanweite: 12,00 m
  • Höhe: 4,50 m
  • Gewicht: 11,0 t (davon 1 Tonne Hautgewicht)
  • Antriebsaggregat: 2,0 Liter (Turbodiesel)
  • Max. verfügbare Antriebsleistung: 103 kW (140 PS)
  • Max. Drehmoment: 350 Nm
  • Motorendrehzahl: 2300 U/Min
  • Dieseltank: 43 Liter
  • Max. Geschwindigkeit: 1,8 km/h
  • Stromgeneratoren: 3 Stück (1 x 12V, 2 x 24V)
  • Pneumatikkompressor: 1 Stück
  • Hydrauliköl: 165 Liter
  • Hydraulikregelpumpen: 2 Stück
  • Hydraulikzahnradpumpen: 2 Stück
  • Hydraulikkreislauf: 2 Kreise
  • Hochdruck: 220 bar
  • Niederdruck: 80 bar
  • Hydraulische Antriebe: 50 Stück
  • Hydraulikventile: 272 Stück
  • Hydraulische Servoventile: 43 Stück
  • Pneumatische Antriebe: 10 Stück
  • Elektrische Antriebe: 12 Stück
  • Bewegliche, animierte Achsen: 65 Achsen
  • Drehwinkelsensoren: 49 Stück
  • Längenmesssensoren: 39 Stück
  • Kraftmesssensoren: 4 Stück
  • Neigungssensoren: 2 Stück (2 x 2 Achsen)
  • Hydraulikleitungen: 300 lfd. m
  • Elektrische Leitungen: 1.300 lfd. m
  • Pneumatikleitungen: 110 lfd. m
  • Kunstblut: 80 Liter
  • Lycopodium zum Feuerspucken: 1,6 kg
  • Flüssiggas: 11 kg
  • Bedienung: 4 Funkfernsteuerungen

Transporter:

  • Länge: 5,00 m
  • Breite: 1,60 m
  • Gewicht: 4,3 t
  • Antriebsaggregat: 2,0 Liter (Turbodiesel)
  • Max. verfügbare Antriebsleistung: 103 kW (140 PS)

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