Elektromobilität Audi Charging Hub: So will Audi das Laden zum Premium-Erlebnis machen
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Im städtischen Umfeld ist die öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektroautos – wenn überhaupt vorhanden – vor allem von langsamen AC-Säulen geprägt. Mit seinem ersten Charging Hub in Nürnberg startet Audi jetzt ein anderes Konzept. Wir zeigen, was die Ingolstädter vorhaben.

Im Vorbeihuschen sieht der Bau aus wie ein etwas zu klein geratenes Audi-Zentrum. Die markentypischen Farben, die markante Stahl-Glas-Konstruktion, die großen vier Ringe. Doch wer sich von der Messe Nürnberg kommend an der B8 in Richtung Innenstadt der mittelfränkischen Großstadt bewegt, sieht dort keinen neuen Vertriebsstützpunkt der Ingolstädter. Nein, dort eröffnet der Automobilhersteller am 23. Dezember seinen weltweit ersten „Audi Charging Hub“ – ein „Reallabor für die Zukunft des urbanen Ladens“, wie es die VW-Tochter selbst nennt.
Gerade einmal elf Monate ist es her, dass ein internes Team im Audi-Vorstand die Idee eines Schnellladewürfels gepitcht hat. Ob sich das Konzept auch über Nürnberg hinaus durchsetzt, muss sich jetzt zeigen: Nach drei Monaten will die Marke die ersten Erkenntnisse evaluieren und beispielsweise herausgefunden haben, wann die Anlage besonders frequentiert wird. Sollten die Ergebnisse nicht allzu erfreulich sein, verschwindet der Bau aber nicht direkt wieder von seinem Standort an der Bundesstraße 8: bis Mitte 2023 soll er auf jeden Fall in Betrieb bleiben. Ziel sei es aber definitiv, die Idee auch andernorts zu etablieren.
Noch schneller als der Weg vom Pitch zur Eröffnung verlief der Bau des Charging Hub. Nur vier Wochen waren dafür nötig. Auch die Baugenehmigung der Stadt hatte Audi nach eigenen Angaben zuvor ungewöhnlich schnell bekommen, nämlich nach nur fünf Wochen. Ein Vorteil des Konzepts: Umfangreiche Eingriffe wie Tiefbauarbeiten sind nicht nötig. Ein Anschluss an das Niederspannungsnetz reicht aus, da die Ingolstädter daneben auch auf Pufferspeicher und eine Solaranlage zurückgreift. Auch ein Fundament ist überflüssig: Ein Charging Hub braucht lediglich eine befestigte Fläche.
924 Second-Life-Batterien im Einsatz
Die Batterien für die Speicher stammen aus Testfahrzeugen des Automobilherstellers, die so ein „zweites Leben“ erhalten. Insgesamt kommen 924 Second-Life-Akkus in Nürnberg zum Einsatz und damit in etwa so viele, wie in 26 Audi E-Trons verbaut sind. 92 Prozent aller Batterien aus ausrangierten Autos eignen sich Audi zufolge für solche Anwendungen. Sie sollen nach bisherigen Erkenntnissen des Konzerns bis zu 10 Jahre lang weiterverwendet werden können.
Die gesamte Speicherkapazität des Audi Charging Hubs beträgt 2,45 Megawatt. Aus dem Niederspannungsnetz bezieht Audi lediglich maximal 200 Kilowatt. Die Solaranlage hat eine Peak-Leistung von 30 Kilowatt. Das reicht, um sechs Fahrzeuge gleichzeitig mit einer Gesamtleistung von bis zu 960 kW zu versorgen. Sind alle Ladeplätze besetzt, sind also an jedem 160 kW möglich. Lädt nur ein Fahrzeug an einer Säule, sind sogar bis zu 320 kW drin. Das verträgt bislang noch kein E-Auto auf dem Markt. „Wir sind hier also zukunftssicher unterwegs“, kommentiert ein Audi-Mitarbeiter. Ein integriertes Energiemanagement-System stellt sicher, dass keiner der Speicher leerläuft, während ein anderer kaum genutzt wird. „Unsere Speicher sind so groß, dass es hier nie zu Engpässen kommen wird“, verspricht Audi.
Zur schnellen Umsetzung des Charging Hubs trug auch dessen modularer Aufbau bei. Der gesamte Bau besteht aus fünf Modulen. Drei davon sind sogenannte Powercubes im Untergeschoss, in denen die Speicher und Ladesäulen untergebracht sind. Darauf gibt es einen Aufenthaltsbereich aus Holz und Glas. Das soll den Premium-Anspruch Audis auch beim Laden unterstreichen. Schimpftiraden von Volkswagen-Chef Herbert Diess, wie sie Ionity im Sommer über sich ergehen lassen musste, will die Konzerntochter in jedem Fall vermeiden.
Im ersten Raum kann sich jeder Kunde während seiner Wartezeit aufhalten, Sanitäranlagen und Snack- und Getränkeautomaten nutzen. Auch WLAN gibt's umsonst. „Der Charging Hub soll nach dem Prinzip einer Tankstelle funktionieren. Hinzu kommt, dass man die längere Zeit sinnvoll nutzen kann, die das Laden im Vergleich zum Tanken in Anspruch nimmt“, erläutert ein Audi-Sprecher. Und wer darauf gar keine Lust hat, kann per E-Scooter schnell beispielsweise ins Stadtzentrum rollern. Den Mobilitätsgedanken vor Ort komplettiert eine Batteriewechsel-Station für Mikromobile von Swobbee.
Exklusiv für Audi-Charging-Service-Nutzer schließt daran eine Lounge an, die zum noch komfortableren Verweilen einlädt. Zwischen 10 und 19 Uhr gibt es in der Pilotphase einen Concierge-Service. Ist der Empfang nicht besetzt, können Kunden den Aufenthaltsbereich mithilfe eines Pin-Codes betreten, den sie am Eingang eintippen. Diesen erhalten sie an ihrer Ladesäule oder über die My-Audi-App. Auch im Freien sollen sich Nutzer wohlfühlen: Der Ladewürfel ist auch nachts hell beleuchtet, eine Sicherheitsfirma sieht zudem bei regelmäßigen Revierfahrten nach dem Rechten.
Neben dem Lounge-Zugang haben Audi-Kunden noch weitere Vorteile. Über die App können sie sich Ladeslots am Charging Hub reservieren. Dafür sind 45 Minuten vorgesehen. 15 Minuten bevor der Slot beginnt, fährt am reservierten Ladeplatz ein Bügel hoch und hält so die Säule für den Nutzer frei. Kommt der Audi-Fahrer vor Ort an, kann er die Vorrichtung per App wieder herunterfahren lassen. Sollte bereits ein Fahrzeug auf dem entsprechenden Platz stehen, wird der Kunde mit der Reservierung – sofern vor Ort verfügbar – an einen anderen freien Ladepunkt umgeleitet. Sind alle Plätze belegt, erhalten die „Blockierer“ Hinweise, dass sie ihr Auto nach Möglichkeit wegfahren sollen. Härtere Maßnahmen ergreift Audi aber vorerst nicht. „Die ersten drei Monaten wollen wir auch dafür nutzen, zu sehen, wie gut das funktioniert“, erklärt der Audi-Sprecher. Allerdings behält sich der Hersteller vor, Audi-User zu sperren, die häufiger Ladeslots reservieren, diese dann aber nicht wahrnehmen.
Um auch das Laden möglichst komfortabel zu machen, sind alle Kabel mit Schwenkarmen versehen. Das stellt sicher, dass es selbst für gehandicapte Kunden keine Schwierigkeit darstellt, ihr Auto anzustecken. Zudem erlaubt der Charging Hub als erster Audi-Standort Plug & Charge, um den Ladevorgang unkompliziert zu starten.
Kampfpreise für Drive-by-Lader zum Start
Als potenzielle Kunden hat Audi Elektroauto-Fahrer im Visier, die zuhause keine Lademöglichkeit haben. Der Schnellladewürfel soll eine Alternative zur häufig überlasteten AC-Infrastruktur in den Städten sein. Punkten wollen die Ingolstädter neben den schnellen Ladezeiten und den Annehmlichkeiten auch mit den Preisen: Audi-Charging-Service-Nutzer zahlen vor Ort mit 31 Cent für die Kilowattstunde ähnlich viel wie an einer privaten Wallbox.
Nicht-Audi-Kunden können zu den Konditionen der Tarife Strom beziehen, die sie im Alltag nutzen. Um den Würfel so richtig attraktiv zu machen, lockt Audi zu Beginn zu dem reine Drive-by-Lader, also E-Auto-Fahrer, die keinen speziellen Tarif abgeschlossen haben, mit Kampfpreisen. 36 Cent ruft die VW-Tochter zum Start pro kWh für sie auf. „Das wird aber logischerweise nicht ewig so bleiben“, heißt es von Audi.
Der Automobilhersteller rechnet damit, am Charging Hub 80 Fahrzeuge am Tag vollladen zu können. Sollte es einen Stromüberschuss geben, kann sich Audi auch durchaus vorstellen, diesen ins Netz einzuspeisen. „Das sind genau solche Überlegungen, zu denen uns die Pilotphase Daten liefern soll“, sagt ein Audi-Mitarbeiter. Den Standort Nürnberg als erstes Versuchslabor habe man anhand von Nutzerdaten gezielt gewählt. Der Ansatz soll sich auch bewusst von anderen Ladeangeboten, die der Volkswagen-Konzern entweder selbst aufbaut und betreibt oder an denen er beteiligt ist, abheben. Die Schnelllade-Versorgung an Autobahnen fällt im Kosmos der Wolfsburger beispielsweise Ionity und bald auch Porsche zu.
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Elektromobilität
„Charging Hub“: So geht es mit Audis Schnellladewürfel weiter
Bleibt noch die Frage: Kann sich so ein Projekt überhaupt rechnen? Vorerst mit Sicherheit nicht. „Es wird schwierig, den Charging Hub für sich allein betrachtet wirtschaftlich zu betreiben. Man muss ihn zunächst in Verbindung mit unseren Fahrzeugen und weiteren Services verstehen“, sagt der Sprecher.
Wie viel Audi in den Bau gesteckt hat, verraten die Ingolstädter nicht. Um perspektivisch an weiteren Standorten ausgerollt zu werden, muss der Standort in Nürnberg aber zeigen, dass er zumindest keine größere Geldverbrennungs-Anlage ist. Beispielsweise kann sich Audi vorstellen, derartige Lade-Hubs perspektivisch auch komplett ohne Personal zu betreiben. In Kombination mit höheren Strompreisen, auf die sich Verbraucher wohl zwangsläufig einstellen müssen, könnte der Betrieb so zumindest der Wirtschaftlichkeit näherkommen.
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