Elektromobilität „Es bringt nichts, Deutschland mit einer Million öffentlicher Ladepunkte zuzupflastern“

Wie gut oder schlecht ist die öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektroautos in Deutschland? Und wie wichtig ist sie überhaupt? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.

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Über das öffentliche Ladenetz in Deutschland wird aktuell viel diskutiert.
Über das öffentliche Ladenetz in Deutschland wird aktuell viel diskutiert.
(Bild: Ionity)

Was kann den Vormarsch der Elektromobilität in Deutschland noch gefährden? In den Mittelpunkt derartiger Diskussionen rückt zunehmend die öffentliche Ladeinfrastruktur. Die Meinungen, wie gut wir hierzulande dabei aufgestellt sind, gehen weit auseinander.

Die neue Bundesregierung hat in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: 15 Millionen reinelektrische Fahrzeuge und eine Million öffentliche Ladepunkte sollen es in Deutschland bis 2030 sein. Den ersten Punkt wertet der Bundesverband für Energie und Wasserwirtschaft (BDEW) als „starkes Signal“, das „weitere Investitionen beflügeln“ werde.

Wie viele Ladepunkte braucht es wirklich?

Skeptischer betrachtet BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae allerdings das Ladesäulen-Ziel. „Wie viele öffentliche Ladepunkte wir im Jahr 2030 tatsächlich brauchen, kann heute kaum verlässlich beziffert werden“, sagt sie. Schließlich werde der Bedarf durch die weitere Entwicklung der Technologie, dem Angebot an Fahrzeugen und damit schlicht vom Markt geprägt.

Deshalb sollte man aus Andreaes Sicht die Infrastrukturziele dynamisch fassen. „Es bringt schließlich nichts, Deutschland mit einer Million öffentlicher Ladepunkte zuzupflastern, wenn die Menschen ohnehin meist in der eigenen Garage oder am Arbeitsplatz laden möchten. Und genau dieser Trend ist absehbar“, so die BDEW-Geschäftsführerin. Ähnlich hatte sich zuletzt im Interview mit »Next Mobility« zuletzt Annette Klett-Steinbauer von der Beratung Thaltegos geäußert. Ihrer Meinung nach sind die Diskussionen um öffentliche Ladesäulen „etwas zu sehr aufgebauscht“, auch wenn es richtig sei den Druck hochzuhalten. Laut der Expertin finden 85 Prozent aller Ladevorgänge am Firmenstandort oder privat statt.

Dagegen hatte der Verband der Automobilindustrie (VDA) zuletzt gefordert, dass der Ausbau des öffentlichen Ladenetzes deutliche beschleunigt werden müsse. Aktuell kämen auf einen Ladepunkt hierzulande mehr als 20 BEV und PHEV. Statt wie aktuell 200 neue öffentliche Lademöglichkeiten pro Woche brauche es 2.000.

Kerstin Andreae hält dagegen. Statt starrer Zielvorgaben sei ein gewisser Handlungsspielraum für Unternehmen entscheidend, die sich am Auf- und Ausbau beteiligen wollen. „Sie brauchen einen verlässlichen Rahmen, Unterstützung bei der Flächenbeschaffung und schlankere Genehmigungsverfahren – statt enger Vorgaben. Nur so schaffen wir einen effizienten Ausbau von Ladeinfrastruktur, der sich an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden orientiert“, sagt sie.

Die Auslastung der öffentlichen Ladeinfrastruktur liegt noch deutlich unter ihrer eigentlichen Kapazität.

Kerstin Andreae, BDEW

Laut dem BDEW mangelt es derzeit auch nicht pauschal am Tempo. Eine Umfrage des Verbandes habe ergeben, dass allein elf Ladesäulenbetreiber seit September 414 neue High-Power-Charger (HPC) an 125 Standorten aufgebaut haben. In den vorherigen Quartalen habe der Zuwachs jeweils bei rund 200 HPC-Ladepunkten gelegen. Gerade bei Schnelllade-Optionen gewinne der Ausbau also deutlich an Fahrt.

Im Register der Bundesnetzagentur sind aktuell (Stand Oktober 2021) insgesamt knapp 50.000 öffentliche Ladepunkte gemeldet. Davon sind 2.147 HPC-Lader. Diese allein decken laut BDEW den öffentlichen Bedarf von knapp 1,3 Millionen reinelektrischen Fahrzeugen. Aktuell fahren rund 500.000 reine Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen. „Dies zeigt, dass die Auslastung der öffentlichen Ladeinfrastruktur noch deutlich unter ihrer eigentlichen Kapazität liegt“, so die Folgerung des Verbands.

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