Wie ein einzelnes V2X-vernetztes und autonomes Fahrzeug den Straßenverkehr verändert

Autor / Redakteur: Richard Oed / Benjamin Kirchbeck

Bereits ein einziges mit Vehicle-to-Everything (V2X) vernetztes und automatisiertes Fahrzeug kann den Straßenverkehr inmitten von Menschen gesteuerten Autos sicherer, energieeffizienter und flüssiger machen.

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Das vernetzte und autonome Fahrzeug verbrauchte bei der Auswertung der Bewegungsdaten dreier vorausfahrender Autos nur 76 % der Energie des Fahrzeuges mit dem schlechtesten Energieverbrauch in der Fahrzeugkette. Das nachfolgende Auto profitierte noch deutlicher: Es kam auf einen Energieverbrauch von 80 %.
Das vernetzte und autonome Fahrzeug verbrauchte bei der Auswertung der Bewegungsdaten dreier vorausfahrender Autos nur 76 % der Energie des Fahrzeuges mit dem schlechtesten Energieverbrauch in der Fahrzeugkette. Das nachfolgende Auto profitierte noch deutlicher: Es kam auf einen Energieverbrauch von 80 %.
(Bild: Clipdealer)

Zu diesem Ergebnis gelangte ein Team von Forschern um Gabor Orosz, Professor für Maschinenbau an der University of Michigan (U of M) in seiner im Juni 2018 in der Zeitschrift Transportation Research veröffentlichten Forschungsarbeit. Den experimentellen Nachweis führten die Wissenschaftler des Instituts für Maschinenbau der U of M in Ann Arbor und des Instituts für Informatik und Mathematik des California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena dabei sowohl auf öffentlichen als auch auf nichtöffentlichen Straßen.

Reine On-Board-Sensoren, wie sie derzeit von vielen automatisierten Fahrzeugen verwendet werden, sind für manche Fahrsituationen aufgrund der begrenzten Sichtlinie nicht ausreichend. Daher schlagen die Autoren der Studie eine über die bekannte adaptive Geschwindigkeitsregelung hinausgehende Steuerung mit Hilfe der Vehicle-to-Everything-(V2X)-Kommunikation vor. Diese wertet neben der Geschwindigkeit und dem Abstand zum vorausfahrenden Auto zusätzlich die Bewegungsdaten der benachbarten und von Menschen gesteuerten Fahrzeugen über den Sichtbereich hinaus aus.

Die Auswertung des Bewegungsverhaltens genügt

Im Gegensatz zur bekannten kooperativen adaptiven Geschwindigkeitsregelung (Cooperative Adaptive Cruise Control / CACC), bei der eine Gruppe von aufeinanderfolgenden automatisierten Fahrzeugen ihre Bewegungen über die V2X-Kommunikation untereinander koordiniert, basiert die von den Wissenschaftlern vorgeschlagene vernetzte Form der Geschwindigkeitsregelung (Connected Cruise Control / CCC) rein auf der Auswertung des Bewegungsverhaltens. Eine weitergehende Koordination und Kommunikation unter den Fahrzeugen findet nicht statt. Damit ist das System auch dann funktionsfähig und stabil, wenn darin von Menschen gesteuerte Autos unterwegs sind.

Dazu wurden drei unterschiedliche Szenarien untersucht: Zwei, sicherheitskritische Situationen widerspiegelnde, auf einem Testgelände mit verfügbaren GPS-Kartendaten, das dritte zur Demonstration des Verhaltens beim bekannten Ziehharmonika-Effekt auf einem 12,5 km langen Teilstück einer öffentlichen Straße. Ziel aller drei Szenarien war die Demonstration der Vorteile einer V2X-Kommunikation durch Informationsgewinnung über den Sichtbereich hinaus.

Zur Durchführung der Experimente wurde zunächst ein Modell zur Vorhersage der Reaktion eines vorausfahrenden und von Menschen gesteuerten Fahrzeuges bei Bremsmanövern erstellt. Dieses Modell beschreibt laut den Wissenschaftlern das Verhalten gut, aber unvollständig, speziell wenn mehrere Fahrzeuge involviert sind. Für eine vollständige Beschreibung ist das menschliche Verhalten zu variabel.

DSRC und BSM bilden die Grundlage

Aus diesem Modell entwickelten die Forscher einen Längsregler für das mit einem vernetzten Geschwindigkeitsregler ausgestatten Testfahrzeug, in den Parameter wie Geschwindigkeit, Beschleunigung / Verzögerung und die Reaktionszeit des Fahrers eines oder mehrerer vorausfahrender Fahrzeuge ebenso eingingen, wie der Abstand zwischen den Autos sowie verschiedene Korrekturfaktoren. Die fahrzeugbezogenen Daten wurden dabei aus den ausgesandten V2X-Nachrichten der Autos extrahiert.

Dazu wurden Serienfahrzeuge mit GPS und V2X-Kommunikationsgeräten nachgerüstet. Diese sendeten mittels der im 5,9 GHz Band arbeitenden Dedicated Short Range Communication (DSRC ) die für Standardsicherheitsnachrichten (Basic Safety Messages / BSM) definierten Daten im 10 Hz Takt aus. Die für im Teil 1 der BSM-Spezifikation festgelegten Inhalte umfassen dabei unter anderem Fahrzeuggröße, Position inklusive der Genauigkeit, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Fahrtrichtung, wovon für die Experimente nur die GPS Position und die Geschwindigkeit ausgewertet wurden.

Besonderer Wert wurde bei der Entwicklung des mathematischen Modells auf die Stabilität des Gesamtsystems gelegt, ebenso auf die Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes.

Spät sichtbare Hindernisse werden rechtzeitig erkannt

Das erste untersuchte Szenario beschäftigte sich mit der Situation eines in einer auch für sensor-basierte Assistenzsysteme nicht einsehbaren Rechtskurve abgestellten, V2X-Nachrichten sendenden Fahrzeuges. Ein menschlicher Fahrer konnte dieses Hindernis erst bei einem Abstand von 25 m erkennen und benötigte, um einen Unfall zu vermeiden, bei einer Geschwindigkeit von ungefähr 56 km/h (35 mph) eine hohe Bremsverzögerung von 8 m/s2.

Im zweiten Teil der Untersuchungen wurde der menschliche Fahrer durch den Längsregler ersetzt. Bei gleicher Geschwindigkeit leitete das nunmehr automatisierte Fahrzeug aufgrund der durch die V2X-Kommunikation erhöhten Sichtweite den Bremsvorgang bereits bei einem Abstand von 70 m ein und erforderte so nur eine maximale Verzögerung von 2 m/s2.

Verzögerungen schaukeln sich nicht auf

Das zweite Szenario untersuchte die Dynamik eines scharfen kurzfristigen Bremsmanövers innerhalb einer Kolonne von vier Fahrzeugen, die bis auf das letzte Auto alle von Menschen gesteuert wurden. Dabei wurde ermittelt, wie stark das automatisierte Fahrzeug abbremsen muss, um den Sicherheitsabstand zu seinem direkten Vorgänger einzuhalten. Die Forscher führten verschiedene Experimente durch, in deren Verlauf nur die Bewegungsdaten des direkt vorausfahrenden Autos, von zwei Fahrzeugen und von allen Fahrzeugen ausgewertet wurden. Die Parameter des Längsreglers wurden jeweils an die unterschiedlichen Szenarien angepasst. Das führende Auto bremste dabei mit einer Verzögerung von 4 m/s2, das zweite Fahrzeug aufgrund des bekannten Effekts des Überbremsens bereits mit 8 m/s2 und das dritte Auto mit 10 m/s2.

Benötigte das mit dem vernetzten Geschwindigkeitsregler ausgerüstete Schlussfahrzeug im ersten Fall, also der ausschließlichen Auswertung der Daten des direkt vorausfahrenden Fahrzeuges, noch eine Verzögerung von 6 m/s2 um den Sicherheitsabstand einzuhalten, so reichte bei der Auswertung der Daten zweier Autos eine Verzögerung von 3 m/s2, und zwar unabhängig davon, ob neben den Bewegungsdaten des direkt vorausfahrenden Fahrzeuges die Daten dessen Vorgängers oder die des führenden Autos verwendet wurden. Dies zeigte, dass die untersuchte CCC auch dann noch stabil arbeitet, wenn sich in einer Kette kommunizierender Fahrzeuge auch nicht-kommunizierende Autos befinden. Wurden schließlich die Informationen aller drei vorausfahrenden Fahrzeuge ausgewertet, sank die maximale Verzögerung auf 2,5 m/s2. Gleichzeitig wurde die Geschwindigkeit weniger stark vermindert und somit das Aufschaukeln der Verzögerungen beendet.

Der Ziehharmonika-Effekt verringert sich

Das dritte Szenario untersuchte den klassischen Kolonnenverkehr. Dabei fuhren dem automatisierten Testfahrzeug sechs von Menschen gesteuerten Autos voraus und eines hinterher. Das führende, mit ungefähr 30 km/h fahrende Auto führte dabei periodisch leichte Bremsmanöver aus, die dessen Geschwindigkeit vorübergehend auf circa 20 km/h reduzierten. Im normalen Straßenverkehr führt dies üblicherweise über kurz oder lang zu einem Stau.

Bereits bei der Auswertung von Bewegungsdaten zweier vorausfahrender Fahrzeuge erreichte das automatisiert verzögernde und beschleunigende Auto aufgrund der sachteren und früheren Brems- und Beschleunigungsmanöver eine größere Geschwindigkeit als sein Vorgänger. Davon profitierte das nachfolgende Fahrzeug ebenfalls. Es erreichte eine nochmals höhere Geschwindigkeit. Die bekannten und gefürchteten Wellen wurden damit reduziert, was im realen Straßenverkehr eine deutliche Verbesserung des Verkehrsflusses bedeuten würde. Und dies, obwohl nur ein einziges Fahrzeug automatisiert unterwegs war.

Als Nebeneffekt der geringeren Verzögerungs- und Beschleunigungswerte stellte sich dabei eine verbesserte Energieeffizienz ein. Das mit der vernetzten Geschwindigkeitsregelung ausgestattete Fahrzeug verbrauchte bei der Auswertung der Bewegungsdaten dreier vorausfahrender Autos nur 76 % der Energie des Fahrzeuges mit dem schlechtesten Energieverbrauch in der Fahrzeugkette. Das dem automatisierten Fahrzeug folgende Auto profitierte deutlich vom ausgeglicheneren Fahrverhalten des automatisierten Fahrzeuges und kam auf einen Energieverbrauch von 80 %.

V2X verbessert den Verkehrsfluss

Die Experimente zeigten, dass es einem mit vernetzter Geschwindigkeitsregelung ausgerüsteten Fahrzeug möglich war, mit einer um 60 % geringeren Verzögerung zu bremsen, als es ein menschlicher Fahrer benötigen würde. Zusätzlich verbesserte der sanftere Übergang vom Bremsen zur Beschleunigung, beziehungsweise von der konstanten Fahrt zur Bremsung, die Energieeffizienz um bis zu 19 % für das mit V2X-Kommunikation ausgerüstete Fahrzeug.

Die verwendete Technik und die Algorithmen zeigten sich dabei sowohl gegen Variationen im menschlichen Verhalten, als auch gegenüber Änderungen in der Topologie des Netzwerks unempfindlich.

Als Gesamtergebnis hielt die Forschungsgruppe um Gabor Orosz fest, dass durch die Verwendung einer vernetzten Geschwindigkeitsregelung auch in nur einem Fahrzeug einer Kolonne die Sicherheit und die Energieeffizienz nicht nur für das damit ausgerüstete Fahrzeug, sondern auch für nachfolgende und von Menschen gesteuerte Fahrzeuge erhöht und der Ziehharmonika-Effekt abgeschwächt wird.

In den nächsten Jahren werden Hersteller wie Volkswagen, Toyota oder General Motors auch ihre nicht autonomen Autos mit V2X-Kommunikation ausrüsten. Davon profitieren zunächst Fahrzeuge mit vernetzten Geschwindigkeitssystemen, da diese die Verkehrssituation über den Sichtbereich herkömmlicher On-Board-Sensorsysteme hinaus einschätzen können, aber aufgrund des gleichmäßigeren Verkehrsflusses auch alle anderen Fahrzeuge.

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