China Market Insider Wie chinesische Autohersteller mit Over-the-air-Updates ihre Macht missbrauchen
Over-the-air-Updates sind ein Trend in der Autobranche. Sie ermöglichen, Fahrzeuge zu verbessern, ohne diese dafür in die Werkstatt holen zu müssen. In China gibt es allerdings zunehmend Aufregung rund um die OTA-Updates.
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Updates over the air (OTA) sind in China schnell zum Standard für E-Autos geworden. Doch das hat allem Anschein nach nicht nur Vorteile für die Verbraucher. Rund um die Vorgänge, bei denen ein Software-Update ähnlich wie beim Handy über das Funknetz oder Wifi an die Autos überspielt wird, ist gerade eine kontroverse Debatte ausgebrochen.
Der chinesische Autohersteller WM Motor wird beispielsweise dafür kritisiert, OTA-Updates ohne die Einwilligung der Besitzer durchgeführt zu haben. „Nach einigen Fällen, bei denen es spontan zu Fahrzeugbränden gekommen ist, hat WM Motor über OTA das Batterie-Management-System verändert und die Ladeleistung beschränkt – im Hintergrund, ohne den Konsens der Autobesitzer erlangt zu haben“, berichtet das chinesische Auto-Fachmedium „Auto Byte“ in seiner jüngsten Ausgabe.
Fünf verschiedene Autos des Modells „WM EX5“ hätten zuvor spontan Feuer gefangen. Als die Besitzer anschließend auf eine harmlose daherkommende Neujahrsbotschaft des Herstellers klickten, sei ihre Batteriepower vorübergehend eingefroren worden, bis das Batterie-Management-System neu austariert war.
Die Folge dieser Aktion sei eine „neue Runde öffentlicher Aufregung rund um das Thema OTA“, berichtet das Blatt. Chinas Konsumenten hätten die Erfahrung machen müssen, dass „manche Autofirmen ihre Macht missbrauchen und ohne die Erlaubnis der Autobesitzer das System des Fahrzeugs manipulieren“, heißt es. Der brisante Vorwurf im Fall von WM Motor: Die Firma habe damit einen teuren und für das Image schädlichen Rückruf vermeiden wollen.
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173 WM-Kunden hätten Anfang dieses Jahres den Rat eines Anwalts eingeholt, der das OEM anschließend angeschrieben habe, berichtet Auto Byte. Statt zu antworten habe WM Motor allerdings versucht, die Reduzierung der Ladeleistung in weiteren Over-the-Air-Updates rückgängig zu machen, heißt es in dem Bericht.
Der Vorfall – chinesischen Medienberichten zufolge ist WM Motor nicht der einzige Hersteller, dem solche Methoden vorgeworfen werden – wirft ein Schlaglicht auf die Schattenseiten einer neuen Technologie, die sich in China mit großem Tempo ausgebreitet hat.
Zahl der Updates massiv gestiegen
Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl solcher Updates im Reich der Mitte um 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht – auf 351 OTA. Betrachtet man die Zahl der betroffenen E-Autos, so hat sie sich im selben Zeitraum sogar verdreifacht – auf über 34,2 Millionen Fahrzeuge. Der Trend hält auch in diesem Jahr an. OTA werden immer häufiger.
Sowohl für Autofahrer als auch für die Autokonzerne ist die Technik per se erst einmal praktisch. Da immer mehr Funktionen im Auto von Software dominiert werden, sind notwendige Updates nicht zu vermeiden. Dank OTA müssen die Kunden aber nicht jedes mal zurück zum Händler oder in eine Werkstatt. Die Updates „durch die Luft“ sparen also allen Beteiligten Zeit und Geld.
Problematisch wird es allerdings dann, wenn damit Mängel und existierende Sicherheitsrisiken vertuscht werden sollen, so wie es gerade WM Motor von seinen erbosten Kunden vorgeworfen wird. Während jeder physische Rückruf für Medienberichte sorgt und auch bei den Aufsichtsbehörden gemeldet werden muss, können OTA für heimliche Ausbesserungs-Aktionen missbraucht werden.
Auch bei dem E-Auto GAC Aion S sei es vergangenes Jahr zu mehreren Batteriebränden gekommen. Auch hier habe sich der Hersteller entschieden, per OTA die Ladeleistung und Gesamtkapazität der Batterie in den Fahrzeugen zu kappen. Die Leistung des Motors sei auf nur noch 50 bis 60 Prozent des ursprünglichen Wertes reduziert worden. Und auch beim GAC Toyota iA5 soll es vorgekommen sein, dass ECU eines Autobesitzers insgesamt 14 Mal aufgefrischt worden ist, schreibt Auto Byte.
Bei den OTA wird zwischen zwei wesentlichen Arten unterschieden: Die schwierigeren, technisch anspruchsvolleren FOTA (Firmware-over-the-air-Update), mit denen Kernkomponenten des Betriebssystems eines Autos aufgefrischt werden können – etwa Funktionen des autonomen Fahrens.
Die Pioniere sind Tesla und Nio
Nur wenige Autohersteller, darunter der OTA-Pionier Tesla und das chinesische E-Auto-Startup Nio beherrschen inzwischen diese Technologie. Die meisten anderen Autokonzerne, darunter beispielsweise VW und das chinesische Startup Li Auto, haben bislang nur die vergleichsweise einfache SOTA-Variante gemeistert. Bei „Software-over-the-air-Updates“ werden nur relativ harmlose Pakete von Code übermittelt, etwa für das Infotainment-System oder die Navigation.
Da inzwischen aber immer mehr Autobauer die intelligenten Gateway-Chips verbauen, die für umfangreiche OTA erforderlich sind, hat der Gesetzgeber Schwierigkeiten, mit seinen Bestimmungen auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Im November 2020, Juni 2021 und zuletzt im August 2021 sind entsprechenden Bestimmungen verschärft worden, und nicht autorisierte OTA sind seither eigentlich verboten. Doch mit der Überwachung hapert es genauso wie mit der Auslegung vieler Details in den Bestimmungen.
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