Moovel/Mobimeo „Wenn wir Innenstädte autofrei machen wollen, müssen wir Mobilitätsketten neu denken“
Die Bahn-Tochter Mobimeo hat von BMW und Daimler Teile des Mobilitätsangebots übernommen. Mobimeo-Chef David von Oertzen spricht über die Übernahme, warum neue Tarifoptionen wichtig sind und welche Probleme Städte dabei haben, Kunden digitale Angebote zu machen.
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Die Tech-Schmiede der Deutschen Bahn sitzt nicht im Bahntower am Potsdamer Platz, der mit 26 Stockwerken markant in den Himmel ragt. Die 2018 gegründete Tochter Mobimeo hat ihre Räumlichkeiten südöstlich am Halleschen Ufer, direkt am Landwehrkanal, gut 20 Fußminuten vom Tower entfernt. Dort bauen Softwareentwickler Apps und eine Plattform, die sie an Kommunen und Verkehrsunternehmen europaweit verkaufen – und damit die Basis von Mobilitätsangeboten wie dem ÖPNV, Ridehailing oder Scooter-Sharing zementieren. Denn ohne Algorithmen, die Verfügbarkeiten prüfen, Fahrten poolen oder Echtzeitdaten ausspucken, laufen die Angebote nicht.
Vergangenes Jahr im Herbst hat Mobimeo erstmals für größeres Aufsehen gesorgt: Die Bahn-Tochter hat von den Autobauern BMW und Daimler Teile ihres Multimodalitätsangebots Moovel übernommen. Moovel war einst bei Daimler entstanden und gehörte zuletzt in den Bereich der Submarke Reach Now, der Mobilitätsplattformen für Kommunen oder Verkehrsverbünde entwickelt. Chef des nun 170-köpfigen Teams ist David von Oertzen, der von Moovel kommt. Wir haben mit ihm über die Rolle der Tech-Schmiede gesprochen.
Herr von Oertzen, seit vergangenem November gehört der Moovel-Geschäftskundenbereich zur Bahn-Tochter Mobimeo. Wie lange dauert es, zwei Unternehmen zu einer Einheit zu verschmelzen?
So ein Zusammenschluss verläuft immer in Phasen. Wir haben zuerst die Strategie und die Organisation auf unsere neue Struktur ausgerichtet. Außerdem haben wir unser Angebot klarer gefasst, das finalisieren wir gerade. Zu Corona-Zeiten war das Zusammenwachsen eine zusätzliche Herausforderung. Wir mussten „remote“ eine gemeinsame Kultur entwickeln.
Verändert sich dabei etwas am Kernprodukt – Software für intelligente Mobilitätsplattformen, auf der Kommunen und Verkehrsverbünde ihr Angebot an die Endkunden bündeln können?
Moovel war die erste deutsche Mobility-as-a-Service-Plattform. Der Fokus lag anfangs stark auf dem Endkundengeschäft, erst später kam der Bereich Geschäftskunden dazu. Mit der Gründung des Mobilitäts-Joint-Venture von Daimler – dem ursprünglichen Gesellschafter von Moovel – und BMW hat sich der Fokus klar in Richtung Endkunden verschoben. Wir haben deshalb eine neue Perspektive für das Geschäft mit Städten und Verkehrsunternehmen entwickelt.
Welche Vorteile entstehen durch den Zusammenschluss?
Wir müssen keine Marken für Endkunden schaffen, sondern können auf die vorhandenen Marken der Kunden setzen. Wir haben eine Plattform, die in Form von Apps im Design dieser Marken verschiedene Ausprägungen hat. Das heißt, sie sieht bei verschiedenen Kunden immer anders aus. Ziel des Zusammenschlusses war, diese Plattform durch die in beiden Unternehmen vorhandene Technologie und das Know-how der Teams noch leistungsfähiger zu machen. Große Teile der Entwicklungsergebnisse, die vorher und danach entstanden sind, haben wir bereits auf dieser Plattform zusammengeführt.
Wie viel Einfluss ist noch aus Stuttgart beziehungsweise München vorhanden?
BMW und Daimler halten seit dem Zusammenschluss Anteile an Mobimeo. Diese Zusammensetzung unserer Gesellschafter ist soweit ich weiß einzigartig und sehr inspirierend. Beide Unternehmen interessieren sich für das Geschäft, da Mobility-as-a-Service der Schlüssel für zukünftige integrierte Mobilitätskonzepte ist. Partnerschaften mit Städten sind auch für die Autokonzerne wichtig, gerade, wenn es um die erste und letzte Meile geht. Dass unsere Idee einer Plattform für alle Verkehrsmittel einen zentralen Stellenwert in der Strategie der Deutschen Bahn hat, ist kein Zufall: In den Städten und urbanen Räumen wird die Verkehrswende im Wesentlichen durch den ÖPNV realisiert.
Wie groß ist der Bedarf von Städten und Gemeinden, ihr Angebot durch Apps besser an die Verbraucher zu bringen?
Wir sehen, dass der Markt diese Aufgabe nicht allein gestemmt bekommt. Alltagsmobilität steht schon heute in Deutschland für über zehn Milliarden Fahrten jährlich. Die wollen wir vernetzen, auch um neue Nutzer von öffentlicher Mobilität zu überzeugen. Im Bereich des ÖPNV gibt es – historisch gewachsen – eine große Fragmentierung, die bei der Entwicklung von Software zu vielen kleinen Ausschreibungen führt. Meiner Meinung nach kann so keine leistungsfähige Mobilitätsplattform entstehen, die ständige Innovationen und eine in die Zukunft weisende Strategie ermöglicht. Allerdings können nur so die Städte und die Mobilitätsbranche den Tech-Riesen wie Google oder Apple etwas entgegensetzen, die die digitale Kundenschnittstelle übernehmen wollen. Daher ist unsere Idee sehr klar: Wir wollen mit unserer Plattform einen Standard setzen. Sie soll das Qualitätslevel von ÖPNV-Apps deutlich verbessern und mehr Kunden in den öffentlichen Nahverkehr bringen. Und wir wollen, dass sich so auch multimodale Angebote verbreiten. In kleinen Projekten und eigenen Lösungen können Mobilitätsunternehmen das nicht vernünftig umsetzen.
Es geht also auch darum, den Nahverkehr in Deutschland wettbewerbsfähig gegen große Anbieter zu machen. Erwarten Sie eine Konsolidierung, wenn es dabei auch um Marktmacht und Größe geht?
Ja, kleine App-Projekte werden ohne eine Konsolidierung nicht überleben können. Wettbewerb ist wichtig, damit immer wieder Innovationen entstehen und er trägt dazu bei, dass viel ausprobiert wird. Aber weil die Konkurrenz so mächtig ist, können nur ein bis zwei große Plattformen der Branche wirklich Kraft entfalten.
Wie groß ist die Herausforderung, in diesem regulierten Markt anzutreten?
Anders gesagt: Würde der Markt vollständig geöffnet, würden Konkurrenten wie Google hinzukommen, die mit Budgets arbeiten, die wir in der Branche nicht kennen. Es ist im Interesse der Städte, dass der Zugang zu öffentlicher Mobilität nicht großen Tech-Unternehmen überlassen wird. Nur so behalten sie die notwendige verkehrsplanerische Steuerungsmöglichkeit. Wir als Entwickler müssen es schaffen, unsere Budgets anzupassen, um Apps zu bauen, die die Nutzer überzeugen.
Die Branche muss dabei dennoch ihre Angebote überdenken, Monatskarten und starre Tarifoptionen stoßen unlängst an Grenzen. Wie weit sind die Verkehrsunternehmen, wenn es um Homeoffice-Tickets oder die sogenannten Pay-as-you-go-Angebote geht?
Das stimmt, der Druck ist vorhanden, sich als Anbieter flexibler aufzustellen. Der Kunde kauft kein Jahresabo, wenn er nur ein paar Tage pro Woche ins Büro fährt. Da drohen geringere Einnahmen. Allerdings probiert die Branche bislang eher im Klein-klein neue Optionen aus. Das müsste schneller gehen und nicht nur mal in dieser und mal in jener Stadt ausgerollt werden. Die digitale Kundenschnittstelle bietet dafür einzigartige Möglichkeiten: Mit überschaubarem Aufwand können neue Angebote zunächst getestet und dann verglichen, optimiert und eingeführt werden.
Die Politik will weniger Privat-Pkws in Städten. Eigentlich kein ganz neues Ziel. Was glauben Sie als Brancheninsider: Sehen wir bald autofreie Innenstädte?
Das Tempo der Veränderungen hat auf jeden Fall extrem zugenommen. Corona hat diese Entwicklungen zusätzlich verstärkt – allerdings gegen den Trend der letzten Jahre, weil Menschen wieder mehr Auto gefahren sind. Wenn wir die Innenstädte wirklich autofrei machen wollen, müssen die Städte Mobilitätsketten neu denken. Meine Überzeugung ist, dass sich dauerhafte Verhaltensänderungen nicht durch Verbote erreichen lassen. Das Wichtige für die Nutzer ist doch, dass Mobilität bequem ist. Das heißt, nicht 20 Minuten auf einen Bus warten oder dreimal umsteigen zu müssen. Das sind Dinge, die Menschen dazu veranlassen, lieber weiter Auto zu fahren. Wenn die Mobilitätswende und damit mehr Klimaschutz erfolgreich sein sollen, hängt das von den Entscheidungen jedes einzelnen ab. Und die trifft er mit seiner Verkehrsmittelwahl jeden Tag aufs Neue.
Vielen Dank für das Gespräch!
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