Shared Mobility „Es ist derzeit schwierig, Shared Mobility operativ profitabel zu betreiben“

Von Christian Otto Lesedauer: 13 min |

Das Buzzword „Shared Mobility“ ist schon seit Längerem in aller Munde. Doch in Europa will das Angebot nicht wirklich greifen – anscheinend. Branchenexperte Jonathan Gleixner, CEO der digitalen Mobilitätsplattform GoUrban, ist da anderer Meinung.

Carsharing ist eine von vielen Formen der sogenannten Shared Mobility.
Carsharing ist eine von vielen Formen der sogenannten Shared Mobility.
(Bild: Share Now)

Herr Gleixner, ist der Erfolg des Themas Sharing ähnlich wie die Ausprägungen des autonomen Fahrens immer eher marktspezifisch zu bewerten? Ist womöglich der europäische Markt, mit einigen urbanen Ausnahmen, einfach nicht affin genug für die Angebote?

Jonathan Gleixner ist CEO und Mitgründer von GoUrban, einer B2B-SaaS-Plattform für servicebasierte Mobilität.
Jonathan Gleixner ist CEO und Mitgründer von GoUrban, einer B2B-SaaS-Plattform für servicebasierte Mobilität.
(Bild: goUrban)

Dass der europäische Markt nicht affin genug für Shared Mobility Angebote ist, würde ich so nicht sagen. Die Bereitschaft der Menschen, Sharing-Angebote zu nutzen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von individuellen Mobilitätsbedürfnissen, kulturellen Unterschieden und rechtlichen Rahmenbedingungen, wie wir zuletzt auch in Paris gesehen haben, und nicht zuletzt auch von infrastrukturellen Gegebenheiten – gerade auch im Hinblick auf autonom fahrende Fahrzeuge.

Europäische Straßen sind teilweise sehr eng und nicht so systematisch gebaut wie beispielsweise die auf neue Mobilität ausgerichteten Städte in den USA. So mag es den Anschein haben, dass die USA Deutschland beim autonomen Fahren einen Schritt voraus sind. Auf regulatorischer beziehungsweise rechtlicher Ebene lohnt sich ein zweiter, genauerer Blick. So ermöglichen die stark vereinfachten Testzulassungen in den USA den Unternehmen, die technische Entwicklung deutlich voranzutreiben und damit die gesellschaftliche Akzeptanz zu stärken.

Also sehen Sie zumindest für das autonome Fahren Chancen in Deutschland und Europa?

Glaubt man der vom ADAC beauftragten Studie des Forschungsinstituts Prognos, so wird auch in Deutschland die Nutzung von Fahrzeugen mit „Autobahnpiloten“ im optimistischen Fall von 2,4 Prozent im Jahr 2020 auf immerhin 70 Prozent im Jahr 2050 steigen. Bis zur Automatisierung von Tür zu Tür wird es hierzulande allerdings noch dauern (ab 2040). Dazu bedarf es auch einheitlicher rechtlicher Standards auf EU- und Länderebene für alle Stufen des autonomen Fahrens einschließlich der relevanten Haftungsfragen, damit wir auch in Europa schneller Erfahrungen à la Waymo machen können.

Dennoch darf man nicht vergessen, dass auch Europa beim autonomen Fahren aufholt, und ich freue mich schon darauf, den VW ID Buzz ab 2025 bei Moia autonom testen zu können. Schaut man zudem auf die Wachstumsprognosen von McKinsey in diesem Markt, so kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass der europäische Markt eine Ausnahmeerscheinung bleiben wird.

Und die Chancen für die geteilte Mobilität?

Um auf Shared Mobility zurückzukommen, sind es aus unserer Sicht weniger die oben genannten Faktoren, die dazu führen, dass sich die geteilte Mobilität noch nicht vollständig durchgesetzt hat. Vielmehr sind noch viele weitere Entwicklungen nötig, bis geteilte Mobilität tatsächlich einen signifikanten Beitrag zum Verzicht auf das eigene Fahrzeug leisten kann: Denn es lässt sich nicht leugnen – derzeit ist Shared Mobility noch zu teuer, zu wenig komfortabel, verlässlich und sicher. Das zeigt sich auch in den PKW-Zulassungszahlen, die beispielsweise im April in Europa um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind. Verglichen mit einem Plus von 7 Prozent in den USA ist das beachtlich.

Wir sind davon überzeugt, dass sich die sogenannte „neue Mobilität“ zu einem geteilten und autonomen Mobilitätssystem entwickeln wird. Wenn künftig nur noch eine Fahrzeugflotte in einer Stadt zusätzliche Alternativen zum ÖPNV bietet und diese autonom gesteuert wird, werden sich letztlich auch die notwendigen Skaleneffekte bei den Kosten für Anbieter und Nutzende einstellen. Autonomes Fahren ist dann der nächste Schritt der heute bekannten Shared Mobility und wird Convenience, Verfügbarkeit, Sicherheit und Kosten auf ein neues Level heben.

Hat in den USA beispielsweise aufgrund des schwachen ÖPNVs Sharing eine größere Lobby?

Blickt man explizit auf Shared Mobility Nutzung, so sehen wir, dass in den USA die Nutzer-Durchdringung auch dieses Jahr wieder weit hinter europäischen Ländern liegt (80,5 Prozent vs. 106,6 Prozent in Deutschland). Hier muss zwischen den urbanen Zentren unterschieden werden, in denen vor allem Micromobility- oder Ride-Hailing-Angebote wie Uber und Lyft sehr populär sind. Insgesamt hat Shared Mobility, inklusive Carsharing, in den USA jedoch eine deutlich kleinere Lobby als in Europa. Die Mentalität, ein eigenes Auto zu besitzen, ist nach wie vor stark ausgeprägt.

In den USA herrscht kein einheitlicher Konsens über die Förderung von Sharing-Diensten als Antwort auf den schwachen öffentlichen Nahverkehr. Unternehmen wie Uber und Lyft, die in den USA als Vorreiter der Sharing Economy gelten, haben erhebliche politische Anstrengungen unternommen, um ihre Dienste zu fördern und politische Barrieren zu überwinden.

Shared Mobility kann eine kostengünstige und flexible Alternative zum schwach ausgebauten ÖPNV sein und Mobilitätslücken schließen. Es gibt auch gemeinnützige Organisationen, die sich für nachhaltige Mobilität und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs einsetzen – insgesamt ist die Lobby jedoch nicht so stark ausgeprägt wie in Europa, wo große Automobilkonzerne starkes Interesse an neuer Mobilität zeigen.

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Außerdem muss an dieser Stelle auf die hohe Bedeutung eines gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs hingewiesen werden. Denn gerade in einigen europäischen Städten, wie beispielsweise unserer Heimatstadt Wien, sehen wir, dass die gewünschten Verkehrsentlastungseffekte von Shared Mobility gerade dann eintreten, wenn eine gute ÖPNV-Infrastruktur vorhanden ist. In Wien ersetzt zum Beispiel ein Carsharing-Fahrzeug bis zu fünf eigene PKW. Auch hier unterscheidet sich die Situation in den USA deutlich von der in Europa.

Was sind international die spannendsten Märkte?

Neben Deutschland und Österreich weisen beispielsweise auch Spanien, Frankreich, Großbritannien, die Benelux-Staaten und Polen eine hohe Dichte an Carsharing-Anbietern auf. Daneben verzeichnen wir auch internationale Anfragen aus Australien oder Indien, letztendlich kennt die neue Mobilität keine geografischen Grenzen.

Der asiatische Markt wird grundsätzlich unterschätzt, besonders in Japan oder China – und das obwohl gerade in diesem Markt großes Potenzial liegt: Der Umsatz im gesamten Shared Mobility Markt steigt in Asien seit Jahren kontinuierlich an. Experten erwarten, dass der Umsatz in den nächsten drei Jahren auf etwa 880 Milliarden Euro ansteigen wird. Gegenüber den letzten zehn Jahren hätte er sich somit fast verdoppelt.

Der große Vorteil von Shared Mobility wird sich auch in Schwellenländern zeigen, wo geteilte Mobilität, wie beispielsweise das Abo-Modell, Menschen mit geringerer Kaufkraft den Zugang zu Fahrzeugen ermöglicht. Insbesondere im Bereich der Mikromobilität spielt Shared Mobility in Europa bislang die vorwiegende Rolle eines Lifestyle-Produkts. Das muss sich ändern.

Welche Sharing-Angebote sind bisher wirklich wirtschaftlich erfolgreich? In Deutschland oder international?

Da tut sich Einiges. In den USA lassen uns in den urbanen Zentren neben Ride-Hailing-Angeboten vorwiegend Micromobility-Anbieter mit beeindruckenden Erfolgsgeschichten aufhorchen, zum Beispiel Bird, Lime oder auch der Shared Bike Anbieter Divvy. In Deutschland sehen wir Miles Mobility expandieren. Spannend wird auch, wie Share Now zusammen mit Free2Move ihre Präsenz ausbaut und das Shared-Mobility-System mit längeren Mieten kombiniert.

Wie oben schon angedeutet, werden wir künftig auch mehr vom asiatischen Raum hören, wo in diesem Jahr der größte Umsatz von Shared Mobility erwartet wird. Der ehemalige Nissan Präsident und CEO Hiroto Saikawa ist kürzlich erst bei Coastr, einem Shared Mobility Anbieter in UK, eingestiegen, um die Expansion in Asien voranzutreiben.

In den kommenden Monaten werden wir nach einer Wachstumsphase der letzten Jahre auch eine Marktkonsolidierung sehen, gerade was den Micromobility-Markt betrifft, wie beispielsweise die derzeit kolportierte Übernahme von Tier Mobility durch Bolt. Klar ist, dass sich Sharing-Modelle mit guten Beziehungen zu den großen Automobilkonzernen leichter tun werden, da sie dank des einfacheren Zugangs zu Fahrzeugen, Synergien nutzen und schneller profitabel sein können.

Was sind die Erfolgsrezepte einer guten multimodalen Mobilitätsplattform?

Eine erfolgreiche Mobilitätsplattform muss künftig unterschiedliche Anwendungsfälle von spontan verfügbarer Mobilität, wie wir sie schon in vielen Städten kennen, über langfristige Autovermietung, monatliche Abos, Unternehmensflotten bis hin zu Ride-Hailing abbilden, um den individuellen Bedürfnissen der Nutzenden zu jedem Zeitpunkt gerecht zu werden. Vielfach wird hier auch von der Vision der „Super-App“ gesprochen.

Bis alle Anwendungsfälle in nur einer App verbunden werden können und die Flotte dahinter mit nur einem Kontrollcenter im Hintergrund gemanagt wird, haben gute Mobilitätsplattformen dafür Sorge zu tragen, dass die jeweiligen oft noch singulären Nutzungsangebote zum einen für die Nutzenden so einfach, sicher, bequem, kostengünstig und nachhaltig wie möglich sind.

Zum anderen müssen sie Mobilitätsbetreiber darin unterstützen, ihre Flotten operativ so profitabel wie möglich zu betreiben. Das bedeutet, sich nicht nur flexibel den individuellen Nutzerbedürfnissen anpassen zu können, sondern auch rasch auf sich ändernde Marktbedingungen, wie zum Beispiel durch regulatorische Anforderungen, zu reagieren. Zusätzlich ist es unserer Erfahrung nach nicht nur Software, die einen Unterschied macht, sondern auch die Beratung der Mobilitätsbetreiber zur operativen Effizienz – gerade in dem sich rasch verändernden Mobilitätsmarkt.

Mobilität muss eine Entwicklung durchlaufen, wie wir sie schon bei den bekannten Streaming-Diensten gesehen haben: Während wir früher in der Videothek eine Videokassette ausgeliehen haben, steht uns nun ein gesamtes Filmuniversum mit Streaming-Angeboten wie Netflix und Co. mit nur einem Klick zur Verfügung – günstig und von überall aus abrufbar.

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