Die Bedeutung der Materialforschung für die Sicherheit beim Autonomen Fahren

Redakteur: Benjamin Kirchbeck

Dass das Autonome Fahren bald Alltag sein soll, verunsichert manche Verkehrsteilnehmer. Die Idee vom freiwilligen Kontrollverlust über das Fahrzeug verdeutlicht aber, welche Risiken es im Straßenverkehr gibt. Eine innovative Bauweise und gut geprüfte Materialien können zur Sicherheit der Verkehrsinsassen beitragen und das Vertrauen in die Fahrzeuge von morgen fördern.

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Die Innenräume der Fahrzeuge werden in Zukunft völlig anders gestaltet sein, da die mitfahrenden Personen nicht mehr zwangsläufig in Fahrtrichtung aufrecht sitzen, sondern bequem liegend oder lesend von A nach B reisen. Hier sind neue Konzepte und Werkstoffe gefordert, um die Insassen bei einem Bremsmanöver oder Aufprall entsprechend zu schützen.
Die Innenräume der Fahrzeuge werden in Zukunft völlig anders gestaltet sein, da die mitfahrenden Personen nicht mehr zwangsläufig in Fahrtrichtung aufrecht sitzen, sondern bequem liegend oder lesend von A nach B reisen. Hier sind neue Konzepte und Werkstoffe gefordert, um die Insassen bei einem Bremsmanöver oder Aufprall entsprechend zu schützen.
(Bild: ©chombosan - stock.adobe.com)

So gut wie alle umsatzstarken Industriezweige in Deutschland sind auf Innovationen aus der Materialforschung angewiesen, um im globalen Wettbewerb ihre Spitzenposition zu halten oder auszubauen. Leistungsfähige Materialien mit neuen Eigenschaften sind daher begehrt. Beispielsweise im Automobilbau, in der Luftfahrt, der Elektroindustrie oder der Medizin- und Umwelttechnik sind sie der Garant für zukunftsfähige Lösungen. Die Digitalisierung und ihre Chancen im Hinblick auf effizientere Produktionsabläufe und neue Geschäftsmodelle ist die zweite treibende Kraft. Denn um maßgeschneiderte Produkte nach individuellen Kundenwünschen ökonomisch herzustellen, brauchen Experten ein tiefgreifendes Verständnis der Werkstoffeigenschaften und damit der inneren Struktur der Werkstoffe.

Sensorlinsen aus dem 3D-Drucker

Eine Herausforderung im Hinblick auf autonom fahrende Autos ist die Gewährleistung der Sicherheit von Fahrzeuginsassen und Passanten. Die Innenräume der Fahrzeuge werden in Zukunft völlig anders gestaltet sein, da die mitfahrenden Personen nicht mehr zwangsläufig in Fahrtrichtung aufrecht sitzen, sondern bequem liegend oder lesend von A nach B reisen. Hier sind neue Konzepte und Werkstoffe gefordert, um die Insassen bei einem Bremsmanöver oder Aufprall entsprechend zu schützen. Sensoren, die für die Sicherheit von Passanten verantwortlich sind, müssen bei Wind und Wetter, wie Nebel, Schnee und Starkregen, zuverlässig funktionieren. Gleichzeitig ist es unabdingbar, dass alle elektronischen Systeme gegen Hackerangriffe oder Datenverlust geschützt sind, um die Ansätze von heute in die Realität von morgen umzusetzen.

Im Fahrzeug- und auch im Flugzeugbau spielt darüber hinaus der Multimaterialeinsatz für den Leichtbau eine immer größere Rolle. Hierbei nutzen Entwickler die einzelnen Vorteile verschiedener Werkstoffe zum Beispiel bei hybriden Bauweisen, um damit neue Einsatzfelder zu eröffnen. Als besonders zukunftsträchtig stufen Experten dabei neue Fertigungstechnologien wie die additive Fertigung ein. Bei diesem Produktionsverfahren werden die Werkstücke am Computer konzipiert und die Informationen mit einem 3D-Drucker schichtweise umgesetzt. Inzwischen ermöglicht es diese Technologie kleinste Bauteile mit Abmessungen von weniger als einem Tausendstel eines Millimeters herzustellen. So entstehen besonders stabile Materialien aus Miniaturgittern und -fachwerk, sehr kleine, ultra-präzise Linsen für Sensoren und Optiken, aber auch winzige Gerüste für die Vermehrung von Zellen in körperähnlicher Umgebung.

Auch die Energiewende braucht fortschrittliche Werkstoffe zur Steigerung der Effizienz und Umweltverträglichkeit, beim Transport und bei der Speicherung von Energie. Batterien für Fahrzeuge müssen nicht nur leichter und umweltfreundlicher werden – auch im Falle eines Unfalls dürfen sie nicht in Flammen aufgehen oder Schadstoffe freisetzen. Gleiches gilt für Brennstoffzellen, deren Laufzeiten durch neue Werkstoffe und Fertigungsverfahren in den vergangenen Jahren stark gesteigert werden konnten.

Material-Versagen: Entwicklung neuer Messmethoden

Unter der Maßgabe „sparsamer, effizienter und sicherer“ bearbeitet Prof. Dr. Peter Gumbsch in Zusammenarbeit mit seinem Forschungsteam zahlreiche dieser Innovationsthemen. Er unterstützt mit seiner Forschung Industriekonzepte für autonom fahrende Fahrzeuge, ressourcenschonende Bau- und Kraftwerke und entwirft Materialien mit völlig neuen Eigenschaften. Seine Forschungsgruppen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg sorgen dafür, dass selbstfahrende Autos sicherer, Turbinen verlustärmer, Pumpen und Brennstoffzellen langlebiger werden.

Um diese Ziele zu erreichen, werden einzelne Komponenten bis hin zu kompletten Strukturen oder Fahrzeugen tausendfach auf Prüfständen getestet. Die Teams von Prof. Gumbsch entwerfen neue Messmethoden, um bis ins Detail zu verstehen, wieso ein Werkstoff versagt. Der Zeitaufwand und damit die Kosten für diese Tests sind erheblich. Daher erstellen die Wissenschaftler darüber hinaus hochkomplexe Computermodelle, die dabei helfen, das Verformen und Versagen von Materialien im Voraus zu berechnen. Das spart Zeit und Ressourcen. Ihre Modelle setzen in Forschung und Industrie neue Maßstäbe in puncto Präzision und Verlässlichkeit.

Detaillierte Berechnung des Crash-Verhaltens

Im Tagesgeschäft konzentriert sich Peter Gumbsch mit seinen Teams darauf, was passiert, „wenn’s kracht“; also, wenn Materialien oder Materialverbünde unter Stress geraten. Ob fluktuierende extreme Hitze, mechanische Dauerbelastung oder plötzlicher Crash – am Anfang steht der Blick auf die Physik und Mechanik und am Ende ein Modell, das den Werkstoff und sein Verhalten unter Belastung exakt beschreibt und damit berechenbar macht. Ein Beispiel sind Schweißpunkte im Automobilbau. Für eine Crash-Situation sind solche Stellen typischerweise nicht gemacht. Eine Schweißnaht dient dazu, zwei Bleche stabil zu verbinden. Trotzdem kann eine Schweißnaht auch als Sollbruchstelle dienen, um im Falle eines Aufpralls gezielt nachzugeben.

Wenn die Verbindung zu fest ist, könnte das gesamte Gefüge durch den Unfall in den Innenraum katapultiert werden. Dies möchten Fahrzeugbauer unter allen Umständen vermeiden. Ein Computermodell zur detaillierten Berechnung des Crash-Verhaltens von Schweißpunkten der Freiburger Fraunhofer-Forscher hilft Autodesignern heute dabei, einen neuen Weg zu finden. Gleiches gelang den Wissenschaftlern zum Beispiel bei der Berechnung zum Verformungs- und Bruchverhalten von Aluminiumfelgen.

Verlässliche Modelle entwickeln

Neue Möglichkeiten beim Leichtbau von Fahrzeugen oder Windradflügeln, aber auch neue Herausforderungen für die Sicherheit stellen Faser-Verbundwerkstoffe dar. Mithilfe einer Wärmekamera konnten Prof. Gumbsch und seine Mitarbeiter belegen, wie und an welchen Stellen sich die Energie eines Aufpralls konkret in einem Verbundwerkstoff in Wärme umwandelt. Da solche Werkstoffe einerseits sehr wärmeempfindlich sind und andererseits Wärme sehr schlecht leiten, spielt die lokal an der Bruchstelle erzeugte Energie offenbar eine sehr zentrale Rolle für das Zerreißen des Werkstoffs. Bisher wurde aber genau dieser Aspekt in den Crash-Modellen nicht berücksichtigt. Die Forscher arbeiten daher daran, diesen Punkt so schnell wie möglich in ihre Computermodelle zu integrieren. Das Ziel ist die Herstellung von neuartigen Verbundwerkstoffen mit verbesserten Materialeigenschaften.

Auch die Art und Weise wie die Fasern verarbeitet sind, ihre Orientierung zueinander und die Verflechtung wirken sich auf die Stabilität und das Bruchverhalten aus. In ihrer Promotion untersucht Zalikha Murni Abdul Hamid, gefördert von der Hector Fellow Academy, wie und unter welchen Bedingungen verschiedene Verbundwerkstoffe reißen. Gleichzeitig entwickelt sie ein Rechenmodell, das es später ermöglichen soll, Leichtbauteile mit genau definierten Merkmalen am Computer zu entwerfen. Ein solches Modell würde in Zukunft dabei helfen, die Zuverlässigkeit von Verbundstoffen unter verschiedenen Belastungen vorauszuberechnen und somit wesentlich zur Sicherheit dieser Werkstoffe beizutragen und erheblich Kosten einzusparen.

Effizientere Energiegewinnung als Eckpfeiler

Der Blick in die Tiefe der Werkstoffe hinein ist nach Einschätzung von Prof. Gumbsch auch ein wesentlicher Pfeiler für eine effizientere Energiegewinnung. In den Lagern von Windrädern wirken beispielsweise enorme Kräfte. Durch Reibung geht einerseits viel Energie verloren und andererseits verformen und verschleißen die Lager. Diese Effekte betreffen unendlich viele technische Anwendungen. Gut verstanden sind die hier auftretenden physikalischen Phänomene heute aber noch nicht. Deshalb analysieren Prof. Gumbsch und seine Mitarbeiter am KIT, was unter der Oberfläche der strapazierten Materialien passiert. Erst seit wenigen Jahren sind die Forscher mit Hilfe spezieller bildgebender Verfahren in der Lage, die Veränderungen im Inneren der verformten Werkstoffe zu erfassen. Kupfer als weiches Metall und Saphir als extrem hartes Gegenstück dienen den Experten dabei als Beispielsysteme, die entscheidende physikalische Daten für die anschließenden Modellrechnungen liefern.

Dem Werkstoff der Zukunft auf der Spur

Für einen intensiven und kreativen Austausch über Fächergrenzen hinweg sorgt die Hector Fellow Academy: So entstand eine Idee zur Zusammenarbeit zwischen Prof. Dr. Peter Gumbsch und Prof. Dr. Martin Wegener vom Institut für Angewandte Physik und Institut für Nanotechnologie am KIT. Ihr gemeinsames Ziel ist es Meta-Materialien mit besonderen mechanischen Eigenschaften zu entwickeln. Die Forscher stellten sich hierbei die Frage, ob und wie auch kollabierbare, instabile Strukturen praktisch genutzt werden könnten.

Als Ergebnis präsentierten ihre Projektmitarbeiter dreidimensionale Gitterformen mit überraschenden Eigenschaften: Die einen eignen sich als wiederverwertbare, leichtgewichtige Stoßdämpfer und die anderen als wabenförmige Tarn-Abdeckungen, die darunterliegende Gebilde verbergen. Prof. Wegeners Expertenteam ist in der Lage, diese Materialien als hochpräzise dreidimensionale Nanostrukturen mit einem am KIT entwickelten 3D-Laserdruckverfahren herzustellen.

Die Forscher sind sich sicher, einem Werkstoff der Zukunft auf der Spur zu sein. Sie prüfen derzeit, inwieweit sich die Grundzüge des wiederverwertbaren Stoßdämpfers und der Tarnstruktur auch kommerziell nutzen lassen. Das unkonventionelle Projekt eines stabilen Stoßdämpfers aus instabilen Grundstrukturen gilt als Paradebeispiel, in welche Richtung sich die Werksstoffforschung zukünftig entwickeln wird: Komplexe Computermodelle erlauben neue Testverfahren, ungewöhnliche Werkstoffdesigns und ausgefallene Materialkombinationen, die sich später in der Praxis bewähren.

Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht schon jetzt effektivere Fertigungsstrategien und neue Geschäftsideen, die speziell auf die Kunden zugeschnittene Lösungen ermöglichen. Für Industrie und Handel gilt es diese Chancen heute und in Zukunft wahrzunehmen und in innovative Produkte und Dienstleistungen umzusetzen.

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