Der digitale Zwilling beim Flugzeugbau
Das Verbundprojekt „EITEC“ sollte für die Großkomponentenmontage bei Airbus ein Konzept entwickeln, um den Automatisierungsgrad zu erhöhen und eine verkürzte Durchlaufzeit zu erreichen. Dafür kamen unterschiedliche digitale Zwillinge zum Einsatz.
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Bei dem Forschungsprojekt „EITEC“ kamen gleich mehrere unterschiedliche Arten digitaler Zwillinge zum Einsatz. Bei der Montage von CFK-Rumpfstrukturen müssen diese im Montageprozess in die exakte Form gebracht werden, da CFK-Bauteile sich wirtschaftlich nur mit einer gewissen Toleranz herstellen lassen und nie absolut identisch und formtreu sind. Die notwendige elastische Verformung der CFK-Bauteile im Montageprozess führt zu Eigenspannungen im Bauteil, die ein bestimmtes Maß nicht überschreiten dürfen.
Daher hatte das Projekt Eitec die Aufgabe, über eine automatisierte Steuerung des Montageprozesses eine Begrenzung der Eigenspannungen sicherzustellen. Die Aktuatoren, welche die Schale in Form und Lage bringen, sind dazu mit einer Kraftsensorik ausgestattet, weil die durch die Verformung entstehenden Eigenspannungen kritisch für die Lastaufnahme des Flugzeuges im Betrieb sind. Das Bauteil sollte eigenständig und in Echtzeit die Kontrolle über die Haltevorrichtung und deren Automatisierungstechnik übernehmen.
Dafür wurde ein digitaler Zwilling des Bauteils erschaffen, der neben CAD-Daten auch über eigene Verhaltensmodelle für die Verformung und die Kräfteeinwirkung verfügt. Weiterhin verfügt die Montageanlage über einen eigenen digitalen Zwilling, der bei der Auslegung der Anlage zum Einsatz kam und den automatisierten Montageprozess mit einer vorausschauenden Simulation in jedem Prozessschritt unterstützt.
Realität kommuniziert mit digitalem Zwilling
Auf der Tragekonstruktion befinden sich jeweils neun unabhängig agierende Positioniereinheiten (Hexapoden), die mit eigenen Sensoren, eigenen Antrieben und eigener Steuerung versehen sind. Diese müssen unter Berücksichtigung der Sensordaten aus dem Prozess eigenständig und in Koordination mit den benachbarten Hexapoden das Bauteil, innerhalb der Prozessgrenzen für die Eigenspannungen, führen. Jeder Positioniereinheit ist dazu ein digitaler Zwilling zugeordnet, der die Sensordaten verarbeitet und entsprechende Korrekturpositionen berechnet. Gleichzeitig erfolgt eine Kommunikation mit dem digitalen Zwilling des Bauteils, der die Ist-Positionen über ein angeschlossenes Messsystem ermittelt und damit die neuen Zielpositionen für Form und Lage an die Positioniereinheit weitergibt und damit den gesamten Montageprozess koordiniert.
In dem Projekt konnte anhand eines realen Anwendungsfalls aus der Luftfahrtindustrie gezeigt werden, dass das Konzept des digitalen Zwillings eine Virtualisierung der Steuerungsfunktionen auf einem höheren Abstraktionsgrad unabhängig vom Hersteller der eigentlichen Steuerungshardware erlaubt. Dies wiederum führt zu einer flexibleren Anpassungsfähigkeit der Fertigungslogik, die durch eine zunehmend hohe Varianz in den Produkten notwendig wird. In dem digitalen Zwilling steckt also durchaus noch mehr Potenzial, als die häufig angeführten Beispiele vom reinen Datensammler und dem Simulationsmodell. Die Verlagerung der Steuerungsfunktionen auf mehrere kommunizierende digitale Zwillinge ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur autonomen Produktion.
Der digitale Zwilling als Gamechanger
Diese Ansätze lassen sich ohne Weiteres von der Luftfahrtindustrie auf den Mittelstand übertragen. Denn durch den modularen Aufbau wird es möglich, erst einmal mit einem überschaubaren Abstraktionslevel zu starten und den Detailgrad dann schrittweise und bedarfsgerecht zu steigern. Man kann je nach Lage der Dinge digitale Zwillinge kopieren, modifizieren, ergänzen oder immer wieder neu kombinieren. Digitale Zwillinge lassen sich mit echten realen Baugruppen koppeln (Hardware in the Loop) und damit ganze Anlagen schon in der Projektierungsphase und während der Konstruktion auf Funktion und Bedienbarkeit hin testen.
Damit wird der Ansatz für kleinere Anlagen- und Maschinenbauer sehr interessant und kurzfristig realisierbar. Denn man kann klein starten und sich sukzessive einen individuellen digitalen Baukasten aufbauen, um Anlagen schneller, sicherer, vor allem aber noch wettbewerbsfähiger in Betrieb nehmen und dann auch betreiben zu können. Entscheidend für den Erfolg ist letztendlich die richtige Mischung aus langfristigen, strategischen Elementen und einer agilen Projektvorgehensweise, in der Fehlschläge eingeplant sind und als Teil der Lernkurve betrachtet werden. „Think big“ – „start small“ – „start now“ sollte die Philosophie sein, die als Leitfaden eines Projekts zum „Digitalen Zwilling und Digitaler Kontinuität“ steht. Um den Transformationsprozess in Gang zu setzen, reichen zu Beginn kleine Schritte mit einer klaren Nutzenerwartung. Entscheidend sind Mut und Kontinuität im Handeln.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partnerportal MM Maschinenmarkt erschienen.
* Leo Bartevyan ist IT Systems Engineer, Digital Factory Solutions bei der Cenit AG.
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