Nutzfahrzeuge Daimler testet den Wasserstoff-Antrieb
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Brennstoffzelle? Batterie? Oder beides? Wo die Reise beim Lkw hingeht, ist noch nicht raus. Erprobt wird deshalb alles. Auch am Brenner.

Felix Kauffmann ist guten Mutes, aber schlechter Laune. Denn zum wiederholten Mal steuert der Trucker seinen 40-Tonner diese Woche schon über die Europabrücke – und steht an der Brenner-Nordrampe mal wieder im Stau.
Kein Wunder. Schließlich ist das mit rund 2,5 Millionen Lastern und 40 Millionen Tonnen Fracht im Jahr eine der am stärksten befahrenen Transit-Routen in Europa. Und streng genommen ist Kauffmann genau deshalb hier.
Denn er hat keine Terminfracht geladen und sorgt sich nicht um die pünktliche Ankunft irgendwo in Italien. Kauffmann ist Testfahrer und sein Dienstwagen soll nicht nur den geplagten Anwohnern hier in Steinach oder Gries eine bessere Zukunft bringen, sondern gleich noch das Klima retten.
Ultimativer Stresstest für den „GenH2“
„GenH2“ steht auf dem silbernen Koloss und statt über einem 15,6 Liter großen Diesel-Motor mit mehr als 500 PS thront der Trucker über zwei mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen, die zwei E-Motoren mit jeweils 450 PS speisen.
Während die Trucks rings um ihn herum im Stopp-and-Go-Verkehr schwarze Qualmschwaden ausstoßen, säuselt bei ihm deshalb nur wolkenweise Wasserdampf aus dem Auspuff. Und statt eines lauten Brummens hört man nur ein leises Summen. Zumindest bis die riesigen Lüfter anspringen.
Denn Steigungen von mehr als sechs Prozent, eine Passhöhe von 1.370 Metern und dann auch noch der Kriechgang – das ist der ultimative Stresstest für den alternativen Antrieb, sagt der Entwickler, während er akribisch die Kurven auf seinen Kontrollbildschirmen studiert.
Die Temperaturen gehen rauf, die Leistung geht wegen der dünnen Luft runter und die Elektronik hat schwer zu tun, eine richtige Betriebsstrategie zwischen der Brennstoffzelle und der mit gerade mal 70 kWh vergleichsweise kleinen Pufferbatterie zu finden. Und der Stau will einfach kein Ende nehmen.
„Im Straßengüterverkehr besteht erheblicher Handlungsbedarf zur Einführung alternativer Antriebe“
Dass Kauffmann nur langsam vorankommt, hat fast schon etwas Symbolisches. Denn wie sein Brummi am Brenner tut sich auch die gesamte Branche noch schwer mit der Mobilitätswende. Während sie beim Pkw mittlerweile unumkehrbar scheint, geht es bei Nutzfahrzeugen sehr viel langsamer voran und vor allem der Fernverkehr fremdelt noch mit der Vorstellung vom CO2-freien Gütertransport.
Aus gutem Grund, sagt Steffen Stumpp vom Münchner Strategieberater Berylls. „Es gibt derzeit schlicht noch keine marktreifen Fahrzeuge, die dem Diesel auf der Langstrecke Konkurrenz machen könnten.“ Dabei tut Eile Not. „Im Straßengüterverkehr besteht erheblicher Handlungsbedarf zur Einführung alternativer Antriebe“, mahnt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.
Er sei mit mehr als einem Drittel der nationalen Treibhausgasemissionen im Verkehr der zweitgrößte Emittent im Verkehrssektor – und angesichts eines kontinuierlich zunehmenden Güterverkehrs sei die Tendenz eher steigend. Die Politik hat deshalb längst auch den Nutzfahrzeugherstellern die Daumenschrauben angelegt: Bis 2025 müssen sie ihren Flottenverbrauch um 15 und bis 2030 um 30 Prozent senken, das hat Brüssel schon vor vier Jahren entschieden.
Und die Ampel zieht in Deutschland jetzt noch einmal nach: Zum nächsten Jahr hat sie für den Klimaschutz eine Mautreform beschlossen, die jede Tonne CO2-Ausstoß mit zusätzlichen 200 Euro belegt. Im Gegenzug werden emissionsfrei Laster bis 2025 von der Maut befreit und müssen danach nur 25 Prozent des Regelsatzes bezahlen.
Elektrische Laster eher für den Verteilerverkehr
Der Aufschrei im Transportgewerbe ist groß, weil die Zahl der Alternativen gering ist. Für die Fuhrunternehmer bedeute das im Prinzip eine Verdopplung der Maut, an der mangels sauberer Fahrzeuge kein Weg vorbeiführe, argumentiert der Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung.
Und weil die Branche nur eine minimale Rendite erwirtschafte, könnten die Mehrkosten für die CO2-Maut über den Handel beim Endverbraucher landen. Fürs Erste mag das sogar stimmen, räumt Berylls-Experte Stumpp ein. Doch mittelfristig werde auch das Transportgewerbe seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und deshalb vom Diesel- auf den Elektroantrieb wechseln müssen.
Anders als beim Pkw scheinen sich dabei fürs elektrische Fahren allerdings zwei Alternativen zu etablieren, skizziert der Experte die Marktlage: Die Batterie oder – wie im umgebautem Actros auf der Brennerrampe – die Brennstoffzelle. Die Batterie hat den Vorteil, dass sie bereits verfügbar ist und zumindest teilweise eine vorhandene Infrastruktur nutzen kann.
Dafür sind allerdings die Reichweiten noch so beschränkt, dass elektrische Laster bislang nur für den Verteilerverkehr taugen, sagt Daimler-Stratege Tilman Morlok mit Blick auf den E-Actros, der jetzt mit Strom für 300 oder 400 Kilometer in den Markt drängt. Morlok leitet die Entwicklung des E-Actros Longhaul, der nächstes Jahr kommen und dann 500 Kilometer schaffen soll. Dafür bekommt er mit 600 kWh so viel Batteriekapazität wie neun Mercedes EQC.
„Wenn solche Fahrzeuge mit Megawatt-Technik geladen werden und so während der für die Fahrer ohnehin vorgeschriebenen Ruhezeiten genügend Energie für den Rest des Arbeitstages aufnehmen können und zudem auf gut planbaren Routen unterwegs sind, dann taugen sie tatsächlich auch für den Fernverkehr.“
„Wer wirklich weit fahren will, kommt um die Brennstoffzelle nicht herum“
„Doch wer wirklich weit fahren will und heute noch nicht weiß, wo seine Fuhre morgen hingeht, der kommt um die Brennstoffzelle nicht herum“, räumt Daimler-Mann Morlok ein und erklärt damit den zweigleisigen Entwicklungsansatz der Schwaben. Nur so können sie das Gros des Marktes abdecken und tatsächlich auch Reichweiten von bis zu 1.000 Kilometern ermöglichen.
Damit ist Daimler nicht alleine. Im Gegenteil: Die Brennstoffzelle im Versuchslaster, der bis 2027/28 in Serie gehen soll, stammt vom Joint Venture Cellcentric, das die Schwaben gemeinsam mit Volvo gegründet haben und ihren ärgsten Konkurrenten zum Partner macht. Auch Hyundai schwört auf die Technik, genau wie das amerikanische Start-Up Nikola, das den Wasserstoffantrieb in Europa zusammen mit Iveco an den Start bringen will.
Nur die VW-Tochter Traton sucht ihr heil allein im Akku, weil sie auf lange Sicht einen unerreichbaren Kostenvorteil für den reinen Batteriebetrieb sieht. Berylls-Analyst Stumpp dagegen glaubt an eine dauerhafte Koexistenz, bei der sich die Verhältnisse je nach regionaler Verfügbarkeit von Strom oder Wasserstoff und dem Einsatzzweck der Fahrzeuge verschieben werden.
Tiefgekühlt statt gasförmig
Doch als wären zwei Entwicklungsstränge nicht schon aufwendig genug, macht Daimler die Sache noch komplizierter und fährt auch bei der Brennstoffzelle zweigleisig: Statt wie die Konkurrenz (und auch der Pkw) auf gasförmigen Wasserstoff zu setzen, favorisieren die Schwaben den Energieträger tiefgekühlt und deshalb flüssig.
Nur so biete er die nötige Energiedichte, um tatsächlich 1.000 Kilometer in den Tank zu packen, argumentiert Morlok. Und obwohl sie extrem gut isoliert sein müssten, seien die Tanks obendrein billiger als die Karbonzylinder, die es für gasförmigen Wasserstoff brauche.
Wobei die Kosten für ihn aktuell ohnehin noch so recht kein Thema sind. Denn wenn schon ein E-Actros gut 2,5-mal so teuer ist wie ein entsprechender Diesel, werde die Brennstoffzelle fürs Erste ganz sicher nicht billiger, räumt der Projektleiter ein.
Und es gibt noch ein Argument für die Tiefkühlkette, sagt Morlok: Wenn wir Diesel durch grüne Energieträger ersetzen wollen, werden wir ohnehin regenerativ erzeugten Wasserstoff aus Sonnen- oder Windrädchen Ländern importieren müssen, und sinnvoll importieren lässt sich Wasserstoff nur flüssig.
Fehlende Infrastruktur bremst Ausbreitung
Weil die Daimlers aber selbst am besten wissen, dass ihr Sonderweg ein steiniger werden könnte und weil es der Brennstoffzelle egal ist, ob im Tank nun flüssiger oder gasförmiger Wasserstoff lagert, sind die Schwaben mit zwei unterschiedlichen Actros rund um den Brenner unterwegs: Einer hat 18 Kilo Gas in seinen Tanks, und Kauffmanns Actros fährt mit zweimal 40 Kilo flüssigem Wasserstoff bei minus 253 Grad.
Während der Actros mit Gas-Kartuschen nach jeder Runde wieder an die Zapfsäule muss, fährt Kauffmann mit seinem Tiefkühl-Tank mehrfach auf den Brenner und wieder zurück – erst recht, wenn es endlich mal läuft auf der A13 und er auf dem Weg runter entsprechend viel Energie rekuperieren und zurück in die Pufferbatterie speisen kann.
Dass der Versuchsfahrer jetzt trotzdem wieder heim ins Werk muss, hat deshalb keinen technischen Grund, sondern einen praktischen: Es gibt für seinen Truck schlicht keine andere Tankstelle. Denn egal ob Batterie oder Brennstoffzelle – die Industrie, so erwartet es Marktbeobachter Stumpp, werde die Technik in der zweiten Hälfte der Dekade zur Serienreife bringen.
Doch dass die Infrastruktur im gleichen Tempo mitwächst, das hält er – auch nach den Erfahrungen mit dem Pkw – für unwahrscheinlich. Erst recht, weil die Nutzfahrzeuge kaum profitieren können vom Auto-Netz. Die Ladesäulen haben zu wenig Leistung und können von den großen Lastern oft nicht einmal angefahren werden. Und wenn es überhaupt schon irgendwo Wasserstoff zu tanken gibt, dann hat der 350 statt 700 bar, von flüssiger Bereitstellung ganz zu schweigen.
„Über kurz oder lang wird es genau wie im Pkw auch im Lastwagen keinen Diesel mehr geben“
Sonderlich euphorisch ist Stumpp deshalb nicht beim Blick aufs grüne Gütergewerbe. Im Gegenteil, er sieht er auf kurze Sicht zum Diesel gerade im Fernverkehr noch keine Alternative. Doch mittelfristig werden sowohl batterieelektrische Fahrzeuge als auch Brennstoffzellen zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist der Experte überzeugt.
Und je weiter er vorausschaut, desto heller wird seine Mine: „Über kurz oder lang wird es genau wie im Pkw auch im Lastwagen keinen Diesel mehr geben – weil er entweder ganz verboten oder schlicht nicht mehr bezahlbar ist.
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