Experten-Interview „Autonom fahrende Pkw sind das am wenigsten relevante Geschäftsmodell“

Von Christian Otto |

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Das autonome Fahren wird vor allem in China und den USA schnell Anklang finden. Treiber sind dort laut Marcus Willand der richtige Fokus auf Shuttle-Dienste und der Bedarf im Bereich Logistik. Der MHP-Partner blickte mit uns auf die wichtigsten Geschäftsmodelle, den Vorsprung von Waymo und die möglichen Chancen für deutsche Zulieferer.

Autonomes Fahren bildet jenseits des Individualverkehrs große Chancen.
Autonomes Fahren bildet jenseits des Individualverkehrs große Chancen.
(Bild: ©Mercedes-Benz AG)

Redaktion: Eine aktuelle Befragung ergab beim Thema automatisiertes Fahren, dass 89 Prozent der Teilnehmer in China das automatisierte Fahren begrüßen, während nur 50 Prozent der Befragten aus Deutschland darin eine sinnvolle Weiterentwicklung sehen. Muss hierzulande noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden und woran liegt das?

Marcus Willand: Es gibt diese Dreiteilung der Welt – also den US- den chinesischen und den europäischen Markt. Die Akzeptanz des autonomen Fahrens liegt sehr stark von den kulturellen Gegebenheiten ab. In Deutschland kommt man aus einer Ingenieurstradition. Gegenüber Themen wie ÖPNV und autonome Transportsysteme (ATS) war in den letzten Jahren immer eine gewisse Reserviertheit spürbar. Deutsche sind mit dem Auto aufgewachsen. Motorisierte Individualmobilität ist ein hohes Gut. Hier wird es einfach länger dauern. Grundsätzlich ist die Bereitschaft in jüngeren Gesellschaftsschichten hierzulande aber sehr hoch sich dem autonomen Fahren zu öffnen. Gleichzeitig ist bei älteren Menschen hier Offenheit, weil es ihnen mehr soziale Teilhabe ermöglichen könnte. Auch im ländlichen Raum könnten autonome Shuttle – bei ausreichend großen Flotten – mehr Angebot für Mobilität schaffen.

Und warum ist die Akzeptanz in China so viel höher?

China entdeckte die motorisierte Individualmobilität durch den Wohlstand, der in den letzten 20 Jahren entstanden ist. Hier ist auch noch keine Sättigung erreicht. Aber die Infrastruktur kommt massiv an ihre Grenzen. Die Zeitverluste und Emissionsbelastungen durch den Pendlerverkehr lassen die Menschen dort hinterfragen, ob es noch sinnvoll ist, ein eigenes Fahrzeug zu haben. Die dort geplanten ATS sind alle elektrisch angetrieben und könnten so einen Hebel bei der Emissionsfreiheit bieten. Hinzu kommt die politische Kultur. Wenn also zentral diese Transportmittel gefördert und gefordert werden, wird es passieren.

Und in den USA, wo Waymo und Cruise schon sehr viele Kilometer Erfahrung gesammelt haben?

In den USA kommt man aus einer Innovationskultur. Das zeigen Waymo und Cruise. Sie sind vom Business-Case getrieben. Es wird also da investiert, wo man ein Geschäft sieht. Und das Hauptthema in der USA wird Logistik sein. Der Hauptteil der logistischen Bewegung läuft dort auf den Highways ab. Dort hat die USA einen schwerwiegenden Fachkräftemangel, da Truckfahrer fehlen. Das ist einer der häufigsten Berufe in den USA. Die wenig attraktiven Arbeitsbedingungen halten die Halter einer CDL (commercial driver licence) davon ab, den Beruf auszuüben. Da kann das autonome Fahren schnell ein Business Case werden. Hier ist also eine frühe Adaption zu erwarten.

Und wie ordnen sie die Märkte technologisch ein?

Wie wir auch in unserer diesjährigen wetalkdata-Studie zeigen werden, sind die führenden Märkte auch hier China und die USA. In Europa gibt es nur wenig ernsthafte Konkurrenten. Player wie Mobileye aus Israel sind noch zu nennen. Sie entwickeln unter anderem visionsbasierte Fahrerassistenzsysteme. Ähnlich wie bei den großen Handels-Plattformen Alibaba und Amazon ist auch beim automatisierten Fahren ein chinesisch-amerikanisches Oligopol zu erwarten. Es wird sehr stark vertikal agierende Anbieter geben, wie Waymo und Cruise, die die Funktion des automatisierten Fahrens spitz integrieren. Daneben wird es horizontale Anbieter wie das Start-up Apex.AI aus den USA geben, die Plattformen als Baukasten für ein Car Operating System liefern.

Stichwort Cruise bzw. Waymo, als technischer Partner. Es gibt Experten, die diese beiden Firmen der Konkurrenz enteilt sehen, da die Menge der gesammelten Daten im Feld entscheidet. Ist das noch einholbar?

Den Vorsprung kann man wieder ausgleichen. Bisher war immer die Annahme, dass die Fahrdaten die gesammelt werden der ultimative Maßstab für die Reife des Produktes sind. Aber es gibt Start-ups, die Software-Lösungen bieten oder entwickeln, durch die man mit weniger Daten ähnliche Fahrsicherheit erreichen kann. Da wird eine zweite Generation autonomer Technologie kommen, die mit intelligenteren Lösungen, die unter anderem mit virtuellen und synthetischen Daten arbeiten, aufwartet, als nur Daten zu sammeln.

Wer kann am schnellsten aufholen?

China hat das Potenzial und tut es schon. Die haben nicht nur die Innovationskultur erlernt, sondern sind wesentlich stringenter im Vorgehen. Die Geschwindigkeit bei Softwareunternehmern in China ist gefühlt nochmals höher als bei jenen im Silicon Valley.

Stichwort Technologie: Welche Rolle wird LiDAR (Light Detection and Ranging) spielen. Elon Musk hält von der Technologie nichts, während sie in China ein Verkaufsargument sein soll. Wo liegt die Wahrheit?

Das war eine gewagte Wette, die Elon Musk eingegangen ist. Die Entwicklungsgeschwindigkeit im Softwarebereich bei der zweiten Generation der autonomen Technologien hat auch starke Auswirkungen auf die Sensorik. Deshalb wird er wohl seinen Standpunkt aus meiner Sicht anpassen müssen. Zudem wird der Einsatz von LiDAR, also die Umfelderkennung in Form eines gepulsten Lasers, sich auch mit den Skalierungseffekten vergünstigen, technisch besser und im Einbau kleiner werden. Gleiches gilt für Radar und Kameras.

Wie wichtig ist hier die Marktreife der Produkte, da es ja noch nicht so viele Fahrzeuge gibt, die höher als Level 3 abbilden können?

Gerade chinesische Unternehmen werden nicht das Ziel ausrufen, dass ihre Produkte zeitnah um den Arc de Triomphe in Paris autonom fahren können. Das gilt als Heiliger Gral. Sie werden eher ausgewählte Straßen in ihren Städten mit Sensorik ausstatten. Dann können auch technologisch minderwertigere Autos die getrennten Fahrspuren nutzen. So kommen sie früher in die Adaption des autonomen Fahrens und können viel mehr Verkehr durch die Kombination aus einer angepassten Infrastruktur mit eigenen Fahrspuren und den jetzt schon verfügbaren Fahrzeugen abwickeln.

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