Autonomes Fahren Autofahren ferngesteuert

Von Hartmut Hammer Lesedauer: 4 min |

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„Teleoperator“ – klingt wie eine fortschrittliche medizinische Jobbeschreibung. Tatsächlich sollen diese Spezialisten dem automatisierten und autonomen Fahren endlich zur Straßentauglichkeit verhelfen, indem sie bei Bedarf Fahrzeuge von einer Leitwarte aus ferngesteuert durch den Verkehr dirigieren.

Der Teleoperator fährt das Mira-Personenshuttle praktisch in Echtzeit durch den Straßenverkehr.
Der Teleoperator fährt das Mira-Personenshuttle praktisch in Echtzeit durch den Straßenverkehr.
(Bild: Mira)

Automatisiertes und autonomes Fahren krankt noch an zwei Stellen: Bei Level 3 ist die Übergabe der Verantwortung vom Fahrsystem auf den Fahrer noch nicht gelöst. Bei Level 4 und 5 kommen die Fahrfunktionen bei Edge Cases wie schlechtem Wetter, unvorhergesehenen Hindernisse auf der Fahrbahn oder bei plötzlich auftauchenden und die Verkehrsregeln übertretenden Einsatzfahrzeugen an ihre Grenzen. Als realistischen Zwischenschritt sehen Experten deshalb teleoperiertes Fahren. Dabei übernimmt eine Person von einem Leitstand aus ferngesteuert die Fahrzeugführung. Entweder als reguläre Anwendung, oder wenn das automatisierte Fahrsystem bei Edge Cases Hilfe anfordert.

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Diese beiden Use Cases sieht die Mira GmbH, eine Tochter der Rheinmetall AG, als spannende Geschäftsmodelle. Das Start-Up plant, erstens Flottenfahrzeuge mit Level 2 und Level 3-Assistenzsystemen durch einen Teleoperator zu steuern (Tele-Driving). So könnten beispielsweise Fahrer eingespart werden, wenn Fahrzeuge von und zu Kunden überführt werden, oder in abgegrenzten Bereichen (zum Beispiel Betriebshöfen, Werksgeländen oder Airports) per Teleoperator dirigiert werden.

Zweitens entwickelt Mira Transporter und Trucks mit Level 4 und Level 5-Fahrfunktionen, die im Kurzstrecken-Güterverkehr oder als Personenshuttle selbstständig fahren sollen. Da man jedoch damit rechnet, dass der Gesetzgeber für solche Fahrzeuge den Nachweis einer technischen Kontrollinstanz einfordert, sieht man in „Teleoperation-as-a-Service“ diese Rückfallebene und somit ein Geschäftsmodell – ob der Teleoperator eingreifen muss oder nicht. Er könnte bei Störungen oder auf der „Last Mile“ die Fahrzeugführung übernehmen und die Fahrzeuge vorübergehend ferngesteuert durch den Verkehr lotsen (Tele-Assist).

Keine „Rocket Science“ erforderlich

Das Technikportfolio für teleoperiertes Fahren sei vorhanden und bei Mira bereits im Probebetrieb, erläuterte Mira-Geschäftsführer Heinrich Dismon auf dem Wiener Motorensymposium: eine umfassende Umfeldsensorik in automatisiert oder autonom fahrenden Fahrzeugen, eine 5G-Mobilfunkverbindung, sowie eine Leitzentrale mit mehreren Teleoperator-Arbeitsplätzen, den „Control Stations“.

Letztere umfassen ein realitätsnahes Cockpit mit Fahrersitz, Lenkrad, Gas und Bremse sowie großflächige Bildschirme, auf denen der Teleoperator das Straßenumfeld eines gesteuerten Fahrzeugs einsehen kann. Mira hat die Control Stations bewusst plattformunabhängig ausgelegt, damit sie mit Pkw, Movern und Lkw verschiedener Hersteller kompatibel sind – sogar mit Fahrzeugen der Muttergesellschaft Rheinmetall AG, die beispielsweise Militärfahrzeuge baut.

Die übergeordnete Leitzentrale ist Dreh- und Angelpunkt des teleoperierten Fahrens und wickelt beispielsweise den administrativen Kontakt zu den Kunden ab. Signalisiert ein angeschlossenes Fahrzeug Unterstützungsbedarf, wird ihm umgehend ein freier Teleoperator zugewiesen, der dann die Fahrzeugführung temporär übernimmt.

Bei der 5G-Mobilfunkverbindung als verbindendem Element zwischen Fahrzeugen, Leitzentrale und Control Stations arbeitet Mira mit allen 5G-Providern in Deutschland zusammen. Technische Hauptanforderungen sind eine minimale Latenzzeit und die höchste Absicherung nach ASIL D. Auch fast alle technischen Elemente im Fahrzeug und in der Control Station sind nach ASIL D-Standard entwickelt, es gibt zum Beispiel eine teils redundante Sensorik und umfangreiche Cybersecurity-Maßnahmen.

Stand der Entwicklung

Aktuell hat Mira bereits mehrere konventionelle Elektrofahrzeuge mit Sensorik und automatisierten Fahrfunktionen ausgerüstet – sowohl Pkw, Transporter für Personen und Güter, als auch große Lkw. Sie verfügen über Brake- und Steer-by-Wire-Systeme, auf die das von Mira selbst entwickelte Teleoperation Kit zugreifen und Befehle des Teleoperators weitergeben kann. Im Gegenzug stellt eine zusätzliche Vehicle Control Unit dem Teleoperator echtzeitnahe Videodaten zur Verfügung.

Die Fahrzeuge sind nach Angaben von Heinrich Dismon mit Sonder- und Erprobungszulassungen bereits im Straßenverkehr von Düsseldorf, Köln und weiteren Städten unterwegs. Seit April lässt Mira versuchsweise in Bonn einem Personen-Shuttleservice zwischen verschiedenen Standorten des Telekommunikationsanbieters Telekom verkehren, derzeit noch mit einer Sonderzulassung. Ein Teleoperator steuert den 9-Sitzer durch den Straßenverkehr, als Rückfallebene ist noch ein Sicherheitsfahrer an Bord.

Seit Sommer 2023 schickt Mira im Rheinland auch ein automatisiertes Logistikfahrzeug auf die Straße, das zwischen zwei Hubs Güter selbstständig transportiert und von der Control Station überwacht wird. Hier kann das Teleoperierte Fahren beispielsweise unproduktive Pausenzeiten vermeiden, die ein Fahrer zwangsläufig während des Be- und Entladens hätte.

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Potenzial ist vermutlich da

Potenzial für Teleoperation-as-a-Service sieht Mira nach eigenen Angaben „genügend“. Nach „konservativen Schätzungen“ erwartet man bis zum Jahr 2030 in Deutschland bis zu sechs Millionen Fahrzeuge, die automatisiert mit Level 4 oder Level 5 fahren können. Bis 2035 soll der Bestand an Level 5-Fahrzeugen auf etwa eine dreiviertel Million Fahrzeuge anwachsen. Neben den technischen Treibern spielen auch wirtschaftliche Aspekte dem Teleoperation-as-a-Service in die Karten. Etwa der wachsende Personalmangel, die langen und unökonomischen Pausenzeiten für Fahrer während der Be- und Entladezeiten von Gütertransporten sowie ein wachsendes Umweltbewusstsein.

Was ist teleoperiertes Fahren?

Teleoperation ermöglicht die Überwachung und den Betrieb von Fahrzeugen durch eine Person, die räumlich entkoppelt mittels einer Kontrollstation das Fahrzeug aus der Ferne bedient. Beim ​Tele-Driving führt der Teleoperator ein nicht-selbstfahrendes Fahrzeug kontinuierlich und direkt aus einem Fahrstand heraus. Und beim ​Tele-Assist unterstützt der Teleoperator ein selbstfahrendes, fahrerloses Fahrzeug im Falle eines Problems wie beispielsweise einem Systemausfall oder bei einer nicht lösbaren Fahraufgabe durch Übernahme der Fahrzeugführung.

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